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Die Luftqualität in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm verbessert. Es wäre aber zu früh, die Hände in den Schoß zu legen. Noch die neueste Auswertung der Europäischen Umweltagentur führt in Deutschland etwa 76.000 der rund 950.000 Todesfälle des Jahres 2018 auf Krankheiten zurück, die durch Luftverschmutzung verursacht waren. Für eine betroffene Person bedeutet eine solche Krankheit im Durchschnitt den Verlust von elf Lebensjahren. Um Luftverschmutzung in einem schädlichen Ausmaß nicht erst entstehen zu lassen, setzt die Errichtung und Änderung großer Anlagen in Deutschland eine Genehmigung unter dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) voraus.
Die technischen Einzelheiten, zum Beispiel zur Berechnung der Auswirkungen einer geplanten Anlage auf die Luftqualität ihrer Umgebung, regelt die Verwaltungsvorschrift TA Luft. Dabei steht der staatliche Vorschriftengeber vor einem Dilemma: Zwar sollen technische Einzelheiten festgelegt werden, aber Technische Regeln im Text selbst würden der Vorschrift einen zu technischen Charakter aufprägen; außerdem erfordert ihre Festlegung sehr spezielle Fachkenntnisse. Bereits die erste Fassung der TA Luft von 1964 stützte sich daher auf 22 Richtlinien der damals 7 Jahre jungen VDI-Kommission Reinhaltung der Luft. Im aktuellen Entwurf der TA Luft sind es rund 90 VDI-Richtlinien und 30 DIN-Normen der KRdL.
Nicht nur Schutz vor schädlichen Luftverunreinigungen, auch Vorsorge
Im Kontext der Europäischen Union setzt die TA Luft die Richtlinie 2010/75/EU über Industrieemissionen, kurz IE-Richtlinie, in nationales Recht um. Dies dient dem Prinzip der Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und geschieht durch Festlegung von Emissionsminderungstechniken und – für die Abnahme und Überwachung der Anlagen – von bestimmten Emissionsmesstechniken, mit denen die Einhaltung von Emissionsgrenzwerten nachzuweisen ist. Einige in der TA Luft zitierte VDI-Richtlinien der KRdL beziehen sich auf die Emissionsminderung, die Mehrzahl auf die Emissionsmessung.
Zusätzlich regelt die TA Luft seit ihren Anfängen auch das, was das BImSchG als „Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen“ bezeichnet, insbesondere die Einhaltung von Immissionsgrenzwerten für Luftschadstoffe in der Umgebung von Anlagen. Um bereits vor der Errichtung oder Änderung einer Anlage eine Entscheidung treffen zu können, ob die Anlage unter dieser Voraussetzung genehmigt werden kann, bedarf es einer Prognose der künftigen Immissionen in der Umgebung der Anlage. Dabei kommen Modelle und Methoden der Umweltmeteorologie zum Einsatz, die der gleichnamige Fachbereich der KRdL ausarbeitet und definiert. Einige der 13 Richtlinien des Fachbereichs Umweltmeteorologie der KRdL, auf die der aktuelle Entwurf der TA Luft verweist, stellen wir im Folgenden vor.
Ausbreitung von Luftschadstoffen
Luftschadstoffe, die eine Anlage in die Atmosphäre freisetzt, werden vom Wind- und Turbulenzfeld erfasst und in der Umgebung der Anlage ausgebreitet. Dieser Prozess beeinflusst die Immissionen der Luftschadstoffe, denen die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft der Anlage ausgesetzt sind. Die VDI-Richtlinien der KRdL stellen für die in der TA Luft geforderte Immissionsprognose Modelle zur Beschreibung der wesentlichen atmosphärischen Prozesse bereit.
In einem Verwaltungsverfahren gilt in besonderer Weise, was ein gutes Modell grundsätzlich auszeichnet: Es soll die und nur die zur Beschreibung der Wirklichkeit wesentlichen Prozesse abbilden. In vielen Fällen lässt sich das Wind- und Turbulenzfeld in der Umgebung einer Anlage robust mit Hilfe der messwertgestützten Parametrisierung der Richtlinie VDI 3783 Blatt 8 modellieren.
Ist das Gelände jedoch sehr steil, stützt sich der Entwurf der TA Luft auf das prognostische mesoskalige Windfeldmodell der Richtlinie VDI 3783 Blatt 7 und verweist für die richtige Anwendung dieses Modells auf die Richtlinie VDI 3783 Blatt 16. In all den bisher genannten Windfeldmodellen werden Gebäudestrukturen als Eigenschaften der Erdoberfläche parametrisiert. Müssen jedoch Immissionskonzentrationen im unmittelbaren Einwirkungsbereich quellnaher Gebäude berechnet werden, empfiehlt der Entwurf der TA Luft, den Einsatz des prognostischen Windfeldmodells für Gebäudeumströmung nach Richtlinie VDI 3783 Blatt 9 zu prüfen.
Auch Pflanzen, Boden und Wasser schützen
Bei großen Industrieanlagen und Kraftwerken werden die Emissionen oft mit großen Abgasvolumenströmen und großen Wärmeströmen über hohe Schornsteine abgeleitet. Dann prägen nicht nur das externe Wind- und Turbulenzfeld, sondern auch die Dynamik der Abgasfahne selbst die Ausbreitung der Luftschadstoffe. Der Entwurf der TA Luft ging Hand in Hand mit dem Entwurf der Richtlinie VDI 3782 Blatt 3, der ein prognostisches Modell des dreidimensionalen Verlaufs der Fahnenachse und der Kenngrößen der Abgasfahne entlang ihres Weges beschreibt. Hier greift der Entwurf der TA Luft durch Festlegung eines solchen Modelltyps der Verabschiedung der Richtlinie vor, stellt es den obersten Landesbehörden jedoch anheim, nach der Verabschiedung der VDI-Richtlinie auf diese zurückzugreifen.
Das Bundes-Immissionsschutzgesetz stellt nicht nur die menschliche Gesundheit, sondern auch Pflanzen, Boden und Wasser unter seinen Schutz. Daher muss die Immissionsprognose nach TA Luft auch den Eintrag von Luftschadstoffen in die Erdoberfläche abbilden. Dazu stützt sich der Entwurf der TA Luft auf die in der Richtlinie VDI 3782 Blatt 5 beschriebenen Parameter „Depositionsgeschwindigkeit“ für die Beschreibung der trockenen Deposition und „Auswaschrate“ für die Beschreibung der nassen Deposition.
Die Ausbreitung von Luftschadstoffen in ihrer Gesamtheit beschreiben
Das Wind- und Turbulenzfeld, die Dynamik der Abgasfahne und der Übergang von Luftschadstoffen aus der Atmosphäre in die Erdoberfläche im Rahmen der trockenen und nassen Deposition haben wesentlichen Einfluss auf die Ausbreitung von Luftschadstoffen. Um diese Ausbreitung in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, bedarf es eines Modells, das den Einfluss all dieser Prozesse auf die Ausbreitung der Luftschadstoffe zusammenfasst, also des eigentlichen Ausbreitungsmodells.
Dafür stützt sich der aktuelle Entwurf der TA Luft, wie schon die TA Luft 2002, auf das Modell der Richtlinie VDI 3945 Blatt 3. Als Lagrange’sches Partikelmodell zeichnet es die Ausbreitung der Luftschadstoffe in unmittelbarer Nähe der Emissionsquellen besonders genau nach. Unterschiedliche Quellgeometrien wie Punkt-, Linien-, Flächen- und Volumenquelle können mit diesem Modelltyp direkt abgebildet werden, ebenso können komplexe Wind- und Turbulenzfelder unmittelbar eingebunden werden.
Wie hoch muss ein Schornstein sein?
Der Werkzeugkasten, mit dem die Ausbreitung der Luftschadstoffe modelliert werden kann, eignet sich auch dafür, eine Schornsteinhöhe zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen nach objektiven Kriterien festzulegen. Dafür greift der aktuelle Entwurf der TA Luft – wie schon die oben erwähnte TA Luft 1964 – auf das bewährte Konzept der lange zurückgezogenen Richtlinie VDI 2289 Blatt 1 vom Juni 1963 zurück, setzt es jedoch mit den heutigen Mitteln der Ausbreitungsrechnung um. Das Konzept wird mit einem unbestimmten Rechtsbegriff als „ausreichende Verdünnung der Abgase“ bezeichnet.
Die ausreichende Verdünnung von Abgasen setzt zunächst voraus, dass die Möglichkeiten zur Vermeidung und Verminderung der Emissionen nach dem Stand der Technik ausgeschöpft wurden. Aber auch unter dieser Voraussetzung müssen die Abgase durch die Ableitung aus einer ausreichend großen Höhe so verdünnt werden, dass in Bodennähe ein vorher festgelegter Schwellenwert der Konzentration unter keiner der zu erwartenden meteorologischen Randbedingungen überschritten wird. Je größer das Wirkungspotenzial eines Luftschadstoffs, desto kleiner der zugehörige Schwellenwert, in der TA Luft als S-Wert bezeichnet, damit die potenzielle Schadwirkung nach dem Vorsorgeprinzip begrenzt wird.
Die ausreichende Verdünnung der Abgase garantieren
Unter Berücksichtigung des Wind- und Turbulenzfelds der Richtlinie VDI 3783 Blatt 8 und der Abgasfahnenüberhöhung, wie sie der Entwurf der Richtlinie VDI 3782 Blatt 3 beschreibt, kann mit dem Ausbreitungsmodell der Richtlinie VDI 3945 Blatt 3 die Schornsteinhöhe berechnet werden, welche die oben definierte ausreichende Verdünnung der Abgase garantiert. Allerdings gilt diese Rechnung nur unter den dabei verwendeten Randbedingungen, insbesondere, dass Wind- und Turbulenzfeld und Abgasfahnenüberhöhung nicht wesentlich durch Gebäudeeinflüsse gestört werden.
Diese Voraussetzung, unter dem unbestimmten Rechtsbegriff „ungestörter Abtransport der Abgase mit der freien Luftströmung“ bekannt, bildet das zweite Kriterium für eine fachgerechte Ableitung von Abgasen. Die Vielzahl an unterschiedlichen Gebäudegeometrien und örtlichen Gegebenheiten führte in der Praxis selbst in Fachkreisen oft zu unterschiedlichen, teils willkürlich wirkenden Interpretationen. Die 2017 veröffentliche Neufassung der Richtlinie VDI 3781 Blatt 4 stellt das Konzept auf eine objektive, durch Windkanalexperimente abgesicherte Grundlage.
Wie stelle ich die Qualität von Gutachten sicher?
Außer auf die hier erwähnten verweist der aktuelle Entwurf der TA Luft auf weitere Richtlinien des Fachbereichs Umweltmeteorologie der KRdL. Im Rahmen einer Anlagengenehmigung sollen sie bei der Immissionsprognose in Form eines Gutachtens alle gebührend berücksichtigt werden. Dies wirft sowohl bei Gutachterinnen und Gutachtern als auch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der prüfenden Immissionsschutzbehörden die Frage auf, wie die Qualität solcher Gutachten sichergestellt und beurteilt werden kann. Im Vollzug der TA Luft 2002 hat es sich bewährt, dem Gutachterwesen und der Behördenseite für die „Qualitätssicherung in der Immissionsprognose“ die Richtlinie VDI 3783 Blatt 13 an die Hand zu geben. Die Richtlinie erörtert mögliche Alternativen für einzelne Teile des Gutachtens und entwickelt Kriterien für die dabei anstehenden Entscheidungen. Außerdem macht sie Vorschläge für die Dokumentation. Eine Prüfliste unterstützt das Gutachterwesen und die Behördenseite bei der Prüfung eines Gutachtens auf Vollständigkeit und Plausibilität.
Die Richtlinie wird derzeit überarbeitet und an die Anforderungen des aktuellen Entwurfs der TA Luft angepasst. Im anschließenden öffentlichen Einspruchsverfahren zum Richtlinienentwurf kann jede und jeder mit einer eigenen Stellungnahme zur Qualität dieser Qualitätssicherungsrichtlinie beitragen.
Hinweis: Auftrag und Funktion der KRdL
Die VDI-Kommission Reinhaltung der Luft und der 1977 gegründete Normenausschuss Luftreinhaltung im DIN wurden 1990 zur VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) – Normenausschuss in ihrer heutigen Gestalt vereinigt. Seit Jahrzehnten unterstützt die KRdL im staatsentlastenden Auftrag das Bundesumweltministerium bei der Reinhaltung der Luft im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Mit Beteiligten aus Behörden, Wissenschaft, Industrie, Gutachterwesen und Nichtregierungsorganisationen stellt sie in freiwilliger Selbstverantwortung den Stand von Wissenschaft und Technik fest, setzt ihn in Richtlinien und technischen Normen um und bringt ihn als DIN-Normenentwürfe auch in die europäische und die internationale Normungsarbeit ein. Wegen der Beteiligung aller interessierten Kreise und wegen ihrer Qualitätssicherung in öffentlichen Einspruchsverfahren genießen die VDI-Richtlinien und DIN-Normen der KRdL eine breite Legitimation und Akzeptanz.
Autoren:
Dipl.-Phys. Alfred Trukenmüller, Stellvertretender Vorsitzender des Fachbeirats des Fachbereichs „Umweltmeteorologie“, VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) – Normenausschuss
Dr. Max Jonas Bangert, Stellvertretender Vorsitzender des Fachbeirats des Fachbereichs „Umweltmeteorologie“, VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) – Normenausschuss
Dr. Ulf Janicke, Mitglied des Fachbeirats des Fachbereichs „Umweltmeteorologie“, VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) – Normenausschuss
Co-Autorin:
Dipl.-Geogr. Catharina Fröhling, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Fachbereichs „Umweltmeteorologie“, VDI/DIN-Kommission Reinhaltung der Luft (KRdL) – Normenausschuss
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