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Nach mehr als einem Jahr Corona-Pandemie wissen wir einiges über die Ausbreitung des gefährlichen Krankheitserregers SARS-CoV-2. Demnach sind drei Übertragungswege wichtig:
- Tröpfchen („feuchte Aussprache“)
- kontaminierte Flächen
- und Aerosole
Was sagt uns das für einen Stadionbesuch? Zunächst: Die Übertragung des Coronavirus durch Aerosole im Freien ist unwahrscheinlich, weil sich Aerosole im Freien sehr schnell verdünnen. Im Sommer hilft auch die Sonne, denn ihre UV-Strahlung macht die Viren rasch unwirksam. In Innenräumen, vor allem solchen ohne Lüftung, ist das anders. Hier nimmt die Aerosolkonzentration mit der Zeit und der Personenanzahl zu: Je mehr Menschen sich im Raum befinden und je länger man sich darin aufhält, desto größer das Ansteckungsrisiko.
Nicht wirklich im Freien ...
Und im Stadion? Im Stadion bist Du nicht wirklich im Freien und nicht wirklich in einem Innenraum. Irgendwie ist das so ein Zwischending. Die Tribünen bilden eine Art ovale Schüssel, oben offen. Um die Zuschauer vor Regen zu schützen, werden sie meist überdacht. Das Dach liegt oft nicht direkt auf dem Schüsselrand auf, sondern ist ein Stück darüber aufgehängt. Über dem Spielfeld selbst bleibt das Dach häufig offen.
Bei einigen Stadien kann ein Dach über die Öffnung geschoben werden. Ein Beispiel ist die Düsseldorfer Multifunktions-Arena. Man verschließt aber die Öffnung nicht vollständig, sondern deckt sie nur gegen senkrechten Regeneinfall ab. Dazu wird das „Spielfeld-Dach“ circa zwei Meter über der Öffnung aufgehängt. So bleibt rund um die Öffnung zur Verbesserung der Durchlüftung ein etwa zwei Meter breiter Spalt offen.
Welche Kräfte auf die Luft im Stadion wirken
Feine Aerosole breiten sich aus wie Luft. Man muss sich also fragen, welche Kräfte auf die Luft im Stadion wirken. Da ist zum einen das Publikum: Jede Person gibt Wärme ab. Jeder Einzelne erzeugt etwa 150 W an Abwärme. In einem Stadion wie der Düsseldorfer Merkur-Spiel-Arena finden gut 50.000 Menschen Platz. Das Publikum gibt also eine Leistung von rund 7,5 MW ab. Diese 7,5 MW erwärmen die Luft; und warme Luft steigt nach oben.
Über dem Stadion sollte sich also bei Windstille eine Thermik bilden: Die Luft strömt durch die Öffnung im Dach nach oben ab, frische Luft strömt über den Spalt zwischen Schüssel und Dach sowie über die Zugänge zur Tribüne nach. Ist die Öffnung über dem Spielfeld verschlossen, wird diese Strömung gedrosselt: Die Ausströmung kann nur noch über kleinere Fläche des umlaufenden Spalts um das Spielfeld-Dach abströmen. Entsprechend verringern sich die Nachströmung über die Zugänge und der Luftaustausch insgesamt.
Trotz der beeindruckend wirkenden 7,5 MW an thermischer Leistung, die das Publikum erzeugt, dürfte der Effekt von Wind viel stärker sein als der des Auftriebs. Was für ein Strömungsbild ist zu erwarten? In seinem Buch „An Album of Fluid Motion“ von 1982, einem Klassiker der Strömungsvisualisierung, veranschaulicht der Amerikaner Milton van Dyke die Überströmung eines flachen Kastens. Das Strömungsbild bei einer Tribüne ohne Dach dürfte dem sehr ähneln.
Man sieht, dass unten auf dem Spielfeld nur sehr wenig Strömung vorhanden ist. Die Tribünen wirken also auch als Windschutz für das Spielfeld. Pustet der Wind jedoch gegen das Stadion, gibt es Durchzug. Der Luftaustausch durch die Zugänge verstärkt sich. Das zeigt beispielsweise eine Simulation von NW-Anströmung bei der Düsseldorfer Arena. Zu erkennen ist, dass es speziell auf der Seite, gegen die der Wind drückt, in den Zugängen stark zieht. Auf dem Spielfeld selbst ist der Luftzug eher gering.
Viele Einflussfaktoren ...
Das tatsächliche Strömungsbild in einem voll besetzten Stadion an einem beliebigen Tag hängt von vielen Einflussfaktoren ab, insbesondere von Stärke und Richtung des Winds, Thermik und architektonischen Gegebenheiten. Grundsätzlich wird der Luftaustausch bei den Plätzen nahe dem oberen Tribünenende (und in den Zugängen auf der dem Wind zugewandten Seite) am größten sein.
Am „frischesten“ ist die Luft auf der dem Wind zugewandten Seite, denn dort strömt jungfräuliche Außenluft ein, die sich auf ihrem Weg durch die Arena mit der im Stadion vorhandenen Luft mischt und das Stadion auf der dem Wind abgewandten Seite wieder verlässt. Gut mit Blick auf SARS-CoV-2, aber bei kühlen Außentemperaturen schlecht für die thermische Behaglichkeit: Der Luftaustausch macht sich durch einen gegebenenfalls kalten Luftzug bemerkbar.
Solche Betrachtungen und Simulationen führte man bisher eigentlich weniger mit Blick auf das Coronavirus durch, sondern aus Gründen des Brandschutzes: Kommt es in einem Stadion zu einem Brand, so sind viele Menschen in Gefahr. Das Gefährliche an einem Brand ist weniger das Feuer als der Rauch. Die Berechnungen des Windeinflusses werden daher in erster Linie mit Blick auf Entrauchung durchgeführt. Soweit der weitgehend technische Teil des Stadionbesuchs. Aber es gibt ja noch einiges Infektionsrisiko drumherum. Um das zu analysieren, gehen wir einen Stadionbesuch einmal in Gedanken durch.
Abstand halten ... Abstand halten?
Am Stadion angekommen herrscht Gedränge im Einlassbereich – die Abstände viel zu gering. Die Einhaltung der Abstandsregelung wie an der Supermarktkasse dürfte angesichts der großen Anzahl Menschen schwierig werden: Würde man allein 1.000 Besucher in eine Schlange mit zwei Meter Abstand stellen, wäre die schon zwei Kilometer lang. Man muss die Menschenschlange also mäandern lassen, wie es etwa an Flughäfen üblich ist. Das braucht viel Platz – sehr viel Platz.
Die Ticket- und Sicherheitskontrollen dürften eher weniger problematisch sein. Der Abstand ist zwar gering, aber das Personal lässt sich vor dem Einsatz testen, um es als Infektionsquelle weitgehend auszuschließen. Schutz vor Ansteckung durch Besucher kann durch Masken, Gesichtsschilde und Handschuhe stattfinden. Hinter dem Drehkreuz fällt der Menschenstrom nicht mehr ganz so dicht aus, und wie oben ausgeführt, dürften in den Zugängen zur Tribüne Durchzug herrschen. Dann bist Du an Deinem Platz. Bei voll besetztem Stadion sitzt Du typischerweise auf Tuchfühlung mit Deinen Nachbarn. Während das Spiel in vollem Gange ist, kocht die Stimmung: Es wird richtig laut. Laut bedeutet: viele, viele Tröpfchen und viel Aerosol. Auch hier sollte man nicht auf die Maske verzichten – auch wenn‘s noch schwerfällt.
Viel zu viele Leute auf engem Raum
Halbzeit. Jetzt mal flott das Bierchen „wegbringen“. Auf den Treppen die Hand ans Geländer, falls man mal stolpert – Geländer? Genau, da war was: eine Fläche, die durchaus kontaminiert sein könnte. Also ja nicht ins Gesicht fassen, bis man die Hände wieder gewaschen und desinfiziert hat. Auf dem Weg zu den Toiletten und vor allem im Toilettenvorraum knubbelt es sich, denn die Bedürfnisse sind ähnlich. „Bloß keine Minute des Spiels verpassen“, sagen sich die Besucher. Man könnte meinen, die Tribünen wären jetzt leer und alle in den Sanitärräumen. Nachdem das dringende Geschäft erledigt ist, auf dem Rückweg zum Platz noch schnell ein Getränk und einen Snack holen. Und wieder in einer Schlange stehen.
Die zweite Halbzeit vergeht; man denkt langsam an die Heimfahrt. Alle wollen nach dem Spiel flott raus, um nicht in den großen Ansturm auf die Bahn zu geraten oder beim Verlassen des Parkplatzes im Stau zu stehen. Also wird es jetzt in den Gängen wieder eng. Und wie auf dem Hinweg tummeln sich all jene, die mit Bus und Bahn gekommen sind, am Ende noch einmal auf engstem Raum in den Zügen – also kein hinreichender Abstand, um Tröpfcheninfektionen zu vermeiden. Und dann womöglich noch Euphorie, Grölen und Singen. Das führt zu erhöhtem Ausstoß sowohl von großen Tröpfchen als auch von feinen Aerosolen. Das Tragen einer möglichst wirksamen Maske (FFP2- oder KN95-Standard) ist auf jeden Fall angesagt.
Wie lässt sich Superspreading vermeiden?
Inzwischen wurden verschiedene Studien bei Konzerten und auch bei Fußballspielen durchgeführt, bei denen die Forschenden intensive Verhaltensbeobachtung und Kontaktverfolgung betrieben haben. Daraus lassen sich verschiedene Maßnahmen ableiten:
- Kapazitäten sollten in Innenräumen nur zu maximal 20, im Freien bis 50, höchstens aber 75 Prozent ausgenutzt werden.
- Teilnehmer an einem Event sollten maximal 24 Stunden vor dem Event dezentral, am besten im direkten Umfeld des Wohnorts getestet worden sein. Alternativ zu einem Test gilt der Nachweis über einen vollständigen Impfschutz oder die Genesung nach einer Infektion.
- Vor dem Zugang zum Event sollten Teilnehmer über ihren Gesundheitszustand befragt und Fieber durch eine Messung ausgeschlossen werden.
- Desinfektionsmittelspender sollten innerhalb der Location überall verfügbar sein.
- FFP2-Maskenpflicht während des gesamten Aufenthalts verordnen.
- Gruppenbildung: Personen werden Gruppen zugeordnet, Kontakte zwischen verschiedenen Gruppen werden minimiert, zum Beispiel indem zugewiesene Wege und Toiletten nur von Mitgliedern jeweils einer Gruppe benutzt werden dürfen.
- möglichst wenige Personenbewegungen, das heißt den Platz nur dann verlassen, wenn dies unvermeidbar ist
- Personenstrommanagement: Lässt sich die Nutzung von Verkehrswegen durch Angehörige verschiedener Gruppen vermeiden, muss der Zugang zeitlich gestaffelt werden, etwa durch auf den Tickets ausgewiesene definierte Zeitfenster für den Einlass.
- Einsatz von Ordnern
- Catering allenfalls unter Auflagen zulassen (Abstandhaltung bei Schlangenbildung)
- Schnelltestmöglichkeiten vor Ort sind hilfreich, falls unvorhergesehen bis dahin ungetestete Personen eingelassen werden sollen.
Also doch besser zuhause im kleinen Kreis glotzen?
Gute Frage. Laut dem Känguru von Marc-Uwe Kling erkennt man eine gute Frage daran, dass die Antwort schwerfällt oder unmöglich ist. Aber wir geben uns Mühe: Nun, die Inzidenz ist über die letzten Wochen stark gesunken. Das dürfte neben den inzwischen gewohnten Hygienemaßnahmen zu großen Teilen auf den rapide angewachsenen und weiter anwachsenden Anteil erst- und inzwischen auch durchgeimpfter Personen und die umfangreiche Testpflicht zurückzuführen sein. Dennoch: Das Risiko einer weiteren Welle bleibt.
Obwohl professionelle Veranstalter auf stringente Hygienekonzepte setzen, steigt bei Massenveranstaltungen das Risiko durch die große Anzahl der Kontakte während der Anreise und während des Events selbst. Auch Kontakte, deren Verhalten und Reisehistorie vor dem Event nicht einschätzbar ist, weil man sie nicht persönlich kennt, sind risikobehaftet. Im privaten Umfeld kennt man all jene Personen, die man einlädt. Aber man wird sich schwertun, von befreundeten Personen einen aktuellen negativen Test und das Tragen von Masken einzufordern. Die Zahl der Beteiligten ist von vornherein übersichtlicher, Kontakte sind nachverfolgbar. Dies bedeutet: Das Hygienekonzept steht und fällt mit dem Verantwortungsbewusstsein der Teilnehmenden füreinander.
Unser Fazit
Ein semi public viewing mit ausgewählten befreundeten Personen oder Familienmitgliedern im Garten dürfte weniger riskant sein.
Autoren: Björn Düchting, Thomas Wollstein, Frank Magdans
Bemerkung: Für fachliche Unterstützung zu diesem Artikel danken wir den Herren Prof. Thomas Winkler und Peter Thiel. Sollte der Artikel Fehler enthalten, sind diese nicht unseren beiden Experten anzulasten, sondern den Autoren.
Kommentare
Inzwischen hat 1 Leser einen Kommentar hinterlassen."Die Übertragung des Coronavirus durch Aerosole im Freien ist unwahrscheinlich, weil sich Aerosole im Freien sehr schnell verdünnen.". Diesen Unfug hört man oft. Dabei stimmt er teilweise. Aber ohne ein Maß für den Abstand bleibt es Unfug. Wie stark werden denn die Aerosole auf 30 cm Abstand bei Windstille verdünnt? Denn so nahe kommt man sich durchaus (übrigens auch vis-à-vis zum Gegenüber gebeugt am Biertisch).
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