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Wann sind Sie ausgewandert?
Ich lebe seit 2009 in Brasilien. Ich war hier bereits als Geschäftsführer für die deutschen Unternehmen Oystar und GEA Heat Exchangers tätig. Seit Ende 2014 bin ich nun Geschäftsführer von Vulkan do Brasil. Zu unseren Hauptprodukten gehören Kupplungen, Bremsen et cetera für die industrielle Antriebstechnik.
Welche Geschichte steckt hinter Ihrer Auswanderung?
Als Projektleiter bei Henkel bekam ich irgendwann die Aufgabe, ein technisches Audit bei unserer Tochterfirma in Jacarei, Sao Paulo, durchzuführen. Aus dem zweiwöchigen Audit wurden sehr rasch wiederkehrende Besuche gefolgt von der Einladung, ganz dorthin zu gehen und das Projekt sowie weitere Projekte und schließlich die gesamte Ingenieurabteilung zu leiten.
Deutsche Ingenieurskunst genießt sehr hohes Ansehen
Was schätzen Sie an Brasilien?
Ich schätze Brasilien als tolles, großes, abwechslungsreiches Land. Mich begeistern die freundlichen Menschen und das fast ganzjährig schöne Wetter. Die Brasilianer sind sehr aufgeschlossen, flexibel und begeisterungsfähig.
Was vermissen Sie, wenn Sie an Deutschland denken?
... das leckere Brot, die schönen Waldspaziergänge und die Nähe zu den kulturell und landschaftlich sehr abwechslungsreichen europäischen Nachbarländern.
Deutsche Ingenieurskunst – was bedeutet das in Brasilien?
Die deutsche Ingenieurskunst genießt ein sehr hohes Ansehen in Brasilien und viele deutsche Technologieführer haben sich hier niedergelassen. Die Brasilianer schätzen den hohen Sachverstand, die Qualität und Zuverlässigkeit der deutschen Ingenieursprodukte und sind geradezu begeistert vom technologischen Fortschritt. Die große Herausforderung für deutsche Ingenieure ist es, den brasilianischen Ingenieuren Kenntnisse und Technik näherzubringen.
Auch in Brasilien geht es um Schlüsselthemen
Welche Projekte gibt es beim VDI in Brasilien?
Der VDI ist in Brasilien seit langen Jahren fest etabliert und hat sich in den letzten Jahren komplett „runderneuert“. Heute stehen hier beim VDI-Brasilien genau dieselben Themen im Vordergrund unserer Aktivitäten, die auch in Deutschland die Technikdiskussion und -fortentwicklung beherrschen. Es geht um die Schlüsselthemen Innovation und Digitale Transformation. Dazu kommen wichtige lokale Themen wie die Duale Ausbildung und die Kooperation mit Aus- und Fortbildungs- sowie Forschungseinrichtungen.
Was unterscheidet die brasilianischen Ingenieure von den deutschen?
Die brasilianischen Ingenieure sind sehr talentiert, aufgeschlossen, anpassungsfähig, begeisterungsfähig und engagiert. Sie lieben das Multi-Tasking und verlieren dabei manchmal den „Roten Faden“. Die Zusammenarbeit brasilianischer und deutscher Ingenieure funktioniert hervorragend, weil jeder der Beteiligten komplementäre Talente und Ausprägungen mitbringt. Brasilianer sind außerordentlich gute Teamworker.
Deutsche Best-Practice-Modelle für landesspezifische Herausforderungen
Welche Leistungen bietet der VDI in Brasilien an?
Wir bieten im Land aktiven Ingenieurinnen und Ingenieuren eine gemeinsame Plattform zur Anpassung und Weiterentwicklung deutscher Best-Practice-Modelle für spezifische Herausforderungen des Landes. Dazu zählt etwa auch die Diskussion über deutsche Industrie-4.0-Konzepte und Automatisierungstechnologien. Wir sprechen mit Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft. Seminare, Workshops und Kongresse bieten wir für alle an, auch für Nicht-Mitgliede, und wir integrieren die Themen dann in der Gesellschaft, stoßen Projekte an. Lokale Förderunternehmen des VDI-Brasilien, wie Vulkan do Brasil, ermöglichen brasilianischen Ingenieurstudenten zudem kostenlose Veranstaltungen für den Berufseinstieg.
Was kann sich Brasilien von Deutschland „abschauen“ und umgekehrt?
Für die Brasilianer ist es sehr beeindruckend, wie gut und diszipliniert die Deutschen einfach alles organisieren. In Deutschland kann man sich hundertprozentig auf Zusagen und Prognosen verlassen. Brasilianer sind oft wesentlich schneller bei der Umsetzung von Projekten, passen sich flexibel wandelnden Umgebungs- und Rahmenbedingungen an und trauen sich, mehrere Dinge gleichzeitig anzupacken.
Aufgeschlossen gegenüber allem Neuen und Anderen sein
Was sollte ein Ingenieur aus Deutschland beachten, wenn er in Brasilien arbeiten möchte?
In jedem Fall ein paar Grundkenntnisse des Portugiesischen. Diejenigen, die hier on the job frisch aus anderen Weltregionen eintreffen, sollten zudem offen und aufgeschlossen gegenüber allem Neuen und Anderen sein. Wer nur die eigenen Erfahrungen und Überzeugungen zulässt oder gar versucht, zu belehren, kann wenig Neues lernen und stößt schnell an Grenzen.
Wie unterscheidet sich die Arbeit eines Ingenieurs in Brasilien von der in Deutschland?
Auf allen Ebenen des Zusammenlebens und -arbeitens spielt die zwischenmenschliche Kommunikation und Beziehung eine sehr wesentliche Rolle. Die Brasilianer kennen keine eindeutige Trennung zwischen der „Arbeitswelt“ und dem „Privatleben“. Das eröffnet viele Möglichkeiten, führt aber sehr leicht auch zu verheerenden Konflikten. Als Europäer muss man das sehr genau kennenlernen, bevor man loslegt.
Redaktion: Frank Magdans
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