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Idealtemperatur im Becher
Wir haben uns das mal am Beispiel Schalke 04 angeschaut, denn in der Veltins-Arena wird beispielsweise das Bier über eine Pipeline ins Stadion geliefert. Die bis zu 61.000 Zuschauer dort haben großen Durst: Im Durchschnitt werden während eines Heimspiels 30.000 Liter Bier getrunken. Die Anlage fasst insgesamt 52.000 Liter. Wie genau muss man sich so eine Pipeline vorstellen und wie funktioniert sie?
Das System besteht aus fünf Kilometern Rohre und ist damit die längste Bierpipeline der Welt. Das Pils wird in 52 Tanks mit je 1.000 Litern gelagert. Damit es schön kühl bleibt, gibt es vier Kühlzentren – das größte mit 16.000 Litern liegt direkt unter der Haupttribüne. Weitere Kühlräume gibt es in der Nordostkurve, der Südostkurve und unweit der Südtribüne. So können 52.000 Liter kühles Pils aus dem „Bauch“ des Stadions über 126 Zapfhähne in die 0,5-l-Plastik-Becher fließen.
Logistik durch Ultraschall-Überprüfung
Wie die Welt berichtet, ist das ganze System eine deutsch-niederländische Co-Produktion: „Mit Hightech zwischen Fass und Zapfhahn machten der Betriebswirt Martin Deutscher und der Diplom-Ingenieur Thomas Will aus Ihringen vor Jahren Furore: Maßgeschneiderte Messtechnik ist die Spezialität der Mib-Messtechnik und Industrieberatung GmbH. Zusammen mit der Veltins-Brauerei und dem niederländischen Bierlagertank-Hersteller Duotank haben sie die Anlage in Gelsenkirchen installiert. Die Ultraschalltechnologie ermöglicht es, den Volumenstrom in der Getränkeleitung berührungslos zu messen, erklärt Geschäftsführer Martin Deutscher seine Erfindung, die auch die Forscher beim Fraunhofer Institut für Biomedizinische Technik überzeugt hat.
In der Machbarkeitsstudie heißt es: „Präzise Messung kleiner Durchflussmengen mittels Ultraschall ist möglich.“ „Das hatte bloß noch keiner gemacht“, so der 37 Jahre alte Thomas Will. „Auf Schalke“ wurden 124 Durchflussmesser montiert, die ihre Daten an acht Auswerte- und Verwaltungseinheiten senden. So kann die Catering-Abteilung der Arena am PC-Bildschirm verfolgen, wie viel Bier jeder der Kioske verkauft. Das bundesweite Pilotprojekt hat – so der 38-jährige Martin Deutscher – beachtliche Logistikvorteile: Wartezeiten sind passé, lange Wege zum Bierholen auch. Das Gerät erkennt beispielsweise auch Schaum in der Leitung, und damit die nicht leer gezapft wird, gehen rechtzeitig die Alarmglocken an.“ (Quelle: Welt)
Die gesamte Anlage unterliegt selbstverständlich der Schankanlagenverordnung, wie sie in der Gastronomie auch vorgeschrieben ist. Nach jedem Heimspiel, aber spätestens alle zwei Wochen, erfolgt eine mechanische und chemische Reinigung, damit Geschmack und Hygiene immer OK sind.
Die Tanks werden wöchentlich per Tankbierzug beliefert (je Zug 28.000 Liter). Die Bierleitungen befinden sich in einem zehn Zentimeter dicken Isolierschlauch mit Begleitkühlung, so kommt das Bier mit der Idealtemperatur von 6 bis 7 Grad Celsius im Becher an. Und das bei einer Durchlaufgeschwindigkeit von vier Litern pro Minute. Auf diesem Wege werden pro Jahr 3.000 bis 4.000 Hektoliter Bier abgesetzt.
Gutes Beispiel: Bierpipeline in Wacken
Beim Wacken Open Air liefert die Bier-Pipeline mehr als 10.000 Liter pro Stunde. Rund 400.000 Liter Gerstensaft rinnen bei dem Festival jedes Jahr durch die durstigen Kehlen. Vorteil der Pipeline: „Dadurch müssen auf dem Gelände keine Fässer mehr mit schweren Lastwagen verteilt werden“, erklärte WOA-Gründer Holger Hübner. Die neue Pipeline in Wacken wurde vor allem gebaut, weil sie nachhaltig ist und den Boden schont, weil er nicht jedes Jahr aufs Neue aufgerissen wird, um die Strom- und Glasfaserleitungen zu verlegen.
Bis 2016 hatten Lastwagen und Traktoren die Bierstände des Festivals beliefert. Durch die Pipeline werde Platz eingespart, da die Bierstände keine Lagerflächen für Bierfässer mehr vorhalten müssten, hieß es. Zudem werde das Gelände geschont. Jetzt können die Besucher ihre Bierbecher schneller befüllen lassen als in den Vorjahren: 10.000 Liter Bier stündlich schossen bei voller Auslastung aus insgesamt zehn angedockten Schnellzapfanlagen. "Das entspricht 25.000 Bechern mit 0,4 Litern Bier", so Gerhard Binder vom Brauereikonzern Anheuser-Busch InBev.
An einer Zapfstation der "Bierpipeline" werden Biergläser befüllt. Innerhalb von 30 Sekunden können 24 0,4-Liter-Biergläser befüllt werden. Insgesamt sieben Kilometer Leer-Rohre mit Durchmessern von bis zu 35 Zentimetern wurden auf dem Gelände in 80 Zentimeter Tiefe verbuddelt. Das Bier wird in Kühltanks gelagert, ähnlich großen Milchtankwagen. Zusätzlich gibt es eine Begleitkühlung bis in den Bierwagen und zum Zapfhahn.
Die Arbeiter haben nicht nur für die Bier-Pipeline Gräben gemacht. Jetzt gibt es auch Leitungen für Glasfaser, Wasser und Strom. Zusätzlich verlegten sie ein Drainagen-System, damit der Boden bei Regen nicht völlig aufweicht. Insgesamt haben die Investitionen eine Million Euro gekostet.
Elf Monate Acker und ein Monat Festival
Welches Bier gibt es zu trinken? Einige halten es für Plörre, andere für richtig gutes Bier: Es ist Becks. Die Leitungen müssen auf Lebensmitteltauglichkeit geprüft sein und selbstverständlich gehen weder Geschmack noch Geruch und schon gar keine Bestandteile vom Schlauch in das Bier über.
Allerdings bleiben die Bierleitungen nicht das ganze Jahr über in den dafür vorgesehenen Rohren liegen. Sie werden nur extra zum Festival eingeführt und danach wieder rausgezogen. So kann das Areal in den elf Monaten außerhalb des Festivals von den Bauern wie jede normale Fläche landwirtschaftlich genutzt werden. „Tiere können rauf, es wird geerntet - alles bleibt, wie es ist. Deshalb ist es auch so schön in unserem Dorf“, sagte Hübner.
Neben den Leer-Rohren wurde vor dem Start des WOA 2017 auch die Drainage des Geländes verbessert. Damit soll bei Starkregen die riesigen und zum Teil knöcheltiefen Pfützen verhindert werden, sagte Hübner: „Aber niemand muss Angst haben, dass es dann keinen Matsch mehr gibt“, ergänzte er. Auf rund eine Million Euro bezifferte Hübner die Gesamtinvestition. „Die Verlegung der Leer-Rohre und die erweiterte Drainage verstehen wir als nachhaltige Investition in die Infrastruktur des Event-Standorts Wacken.“
Bierpipeline auf der Theresienwiese seit 2017
Sie kann 1.200 Maß pro Stunde ausschenken und lockt auf der„Wiesn“ jährlich rund 6,4 Mio. Vergnügungssüchtige auf die Theresienwiese, von denen im Durschnitt jeder ein Maß Bier trinkt. Inzwischen bringt eine unterirdische Ringleitung das spezielle Wiesn-Bier sicher und schnell von den Tanks an die Zapfstellen im Hacker-Festzelt, im Winzerer Fähndl und im Bräurosl. Schon seit 2012 arbeitet das Hackerzelt mit einer zentralen Bierversorgung, über die Abverkauf und Durchlauf jederzeit kontrolliert werden kann – via Webbrowser, Tablet PC oder Smartphone. Früher standen zwei bis drei Tanks an fünf verschiedenen Stellen, heute lagern an einer zentralen Stelle vier Container mit je 28.000 Liter Bier. Das spart nicht nur Platz, sondern erleichtert auch Anlieferung und Bier-Verteilung innerhalb des Zelts.
Tanks und Schänken sind über eine 260 m lange Pipeline verbunden, die 1,10 m unter der Oberfläche verläuft. Mit mehr als 25 cm pro Sekunde (das sind 9 km/h) läuft das Bier durch die Pipeline hin zu den fünf Schänken. Jeder Zapfhahn schafft bis zu 1.200 Maß pro Stunde – das ist alle drei Sekunden eine Maß. An den Schänken zeigt ein so genanntes „Maß-O-Meter“ – ähnlich einem Tachometer – die genaue Geschwindigkeit an. Auch Brauerei und Wirt werden von dem System über Fehlermeldungen und die Mengen des verkauften Biers informiert.
Seit 2019 auch im Münchener Olympiastadion
Fast 10 Jahre nach der Premiere im Paulaner Festzelt Winzerer Fähndl gibt es nun auch eine Bierleitung im Olympiastadion. Wenn sich bei großen Konzerten im Stadion-Innenbereich bis zu 25.000 durstige Fans aufhalten ist ab sofort gesichert, dass das Bier jederzeit eiskalt ausgeschenkt werden kann. Bislang war der logistische Aufwand riesig. Das Stadion misst 260 in der Länge und 250 m in der Querachse. Das Bier da halbwegs kühl an die Fans im Stehbereich innen im Stadion zu bringen - gerade an heißen Sommertagen - war schon ein Kunststück. Künftig fließen auf Knopfdruck bis zu 5.000 Liter auf 2 Grad gekühltes Bier pro Stunde aus den gekühlten Leitungen. Die zentrale Bierversorgung hat schon eine erste Härteprüfung bei den beiden Rammstein-Konzerten an Pfingsten hinter sich.
Im Olympiastadion wurde ein System installiert, bei dem die Tanks nicht fest verbaut sind, sondern "mobil" in Kühlwechselbrücken angeliefert werden. Über die Cloud kann sogar eingesehen werden, wie viel Bier an welcher der insgesamt 36 Ausschankstellen fließt: im geschlossenen Kreislauf, von optimaler Qualität und mit deutlich weniger Schankverlust. Früher musste man über 600 Fässer kühlen und parat halten.
Bleibt Bier übrig, wird es wieder in die Tanks zurückgepumpt, sodass die Temperatur auch mehrere Tage gehalten werden kann. So wird das Bier vom ersten Becher an schön gekühlt bei 2 Grad Temperatur aus den Leitungen kommen...
Weltkulturerbe und Bierpipeline?
In Brügge/Belgien fließt seit 2016 Bier durch eine Pipeline unter der mittelalterlichen Altstadt. Der Bürgermeister hielt den Plan zunächst für einen Witz. Doch der Brauereichef Xavier Vanneste ließ nicht locker und machte seinen Traum wahr. Seit September2016 fließt sein Bier durch eine Pipeline unter den Gassen von Brügge.
Der Besitzer der Traditionsbrauerei De Halve Maan ließ drei Kilometer lange Rohre unter der von der Unesco als Weltkulturerbe geschützten Stadt verlegen. Das Projekt klingt abenteuerlich, hat aber wirtschaftliche Gründe. De Halve Maan – flämisch für Halbmond – braut zwischen Grachten, Souvenirläden und Pommesbuden direkt im mittelalterlichen Stadtkern von Brügge. Seit 500 Jahren werde hier schon Bier produziert, erklärt Vanneste, der das Unternehmen in der sechsten Generation führt.
Die Steigerung der Produktion in den vergangenen Jahren brachte Probleme mit sich auf den Flächen der kleinen Brauerei war nicht mehr genügend Platz, um alle Flaschen abzufüllen, weshalb das Unternehmen eine Abfüllfabrik etwa drei Kilometer außerhalb des Stadtkerns in einem Industriegebiet baute. Deswegen polterten jeden Tag vier bis fünf Tanklaster mit je etwa 30.000 Litern Bier über das Kopfsteinpflaster der 600 Jahre alte engen Gassenstruktur. Vor allem im Sommer sind viele Touristen auf den Straßen unterwegs. Vanneste träumt von einer praktischeren Lösung. Mit der Bierleitung könne er sein Unternehmen im historischen Stadtkern halten.
Gut vier Jahre dauerten die Planung und der Bau der Bierleitung. „Technisch war das nicht kompliziert, es ist das gleiche Verfahren wie beim Verlegen von Leitungen für Trinkwasser“, sagt Vanneste. Die Rohre wurden unterirdisch durch den Boden geschoben. Zwischen zwei und 34 Meter tief liegen sie unter der Erde; sie unterqueren Häuser, Straßejn und Grachten, die tiefste Stelle ist unter einer Tiefgarage. Der Straßenbelag musste für die Bauarbeiten nur an zwei Stellen geöffnet werden. Vier Millionen Euro investierte er in das Projekt.
Die Rohre aus besonders hartem Plastik sind lebensmittelfreundlich, können gereinigt und keimfrei gemacht werden. Pro Stunde schießen 4000 Liter Bier durch die Leitung, 12.000 Flaschen können damit gefüllt werden. Ganz ohne Laster wird die Bierproduktion auch künftig nicht funktionieren, die Zutaten müssen weiterhin zur Brauerei gebracht werden, das sind aber nur noch rund 10 Prozent des LKW-Verkehrs.
Na dann kann’s ja losgehen mit der Bundesliga-Saison!
Kommentare
Inzwischen haben 3 Leser einen Kommentar hinterlassen.Interessant, vielen Dank! Wer hätte das gedacht, wo Pipelines für Bier überall schon gebraucht werden. Möge es so bleiben.
Ich dachte Alkohol mitnehmen in Stadions während des Spiels ist verboten.
Eine 5 Kilometer lange Bierpipeline ist schon eine lustige Vorstellung - wer hätte gedacht dass es hierfür Bedarf gibt? Ich nehme an, dass dieses Modell eine maßgeschneiderte Ausführung für die Veltins-Arena ist. Was ich mich dabei aber frage, ist ob die Wartung einer normalen Schankanlage im Durchschnitt länger dauert als bei dieser vollautomatischen, mit Ultraschall ausgestatteten Anlage?