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Es ist weder Ziel noch Aufgabe einer VDI-Richtlinie, Gebäudeeigentümern vorzuschreiben, welche Art von Toilettenräumen zu bauen sind, denn wir sind nicht der Gesetzgeber. Die VDI 6000 ist eine Richtlinie, weder Gesetz noch irgendeine Verordnung. Es handelt sich vielmehr um eine privatrechtliche Empfehlung. Es wird in der Richtlinie jedoch nicht empfohlen, nur noch geschlechterunspezifische Toiletten zu bauen. Vielmehr werden technische Vorschläge für die Umsetzung solcher Toiletten neben (!) den Vorschlägen für die Umsetzung der klassischen Männer- und Frauen-Toiletten präsentiert.
Alles eine Frage der Nutzung
Was man in Gebäuden an Sanitärausstattung benötigt, hängt von der Nutzung ab. In einem Bürogebäude beispielsweise gehen die Menschen dann auf die Toilette, wenn es gerade passt. Das andere Ende des Spektrums ist ein Fußballspiel: Alle gehen in der Pause. Bei bestimmten Nutzungen wie in Arbeitsstätten sind gemäß gesetzlichen Vorgaben nach Geschlechtern getrennte Toiletten vorzusehen. In Gebäuden, wo solche Vorgaben nicht bestehen, liegt es im Ermessen des Gebäudeeigentümers, wie die Toiletten beschaffen sein sollen.
Der Trend hin zu einem Universal Design ist dabei klar erkennbar: In Verkaufsstätten entscheiden sich die Betreiber zunehmend häufig für geschlechterunspezifische Toiletten. Selbst in Arbeitsstätten, wo getrennte Toiletten für Männer und Frauen vorgesehen sind, werden zunehmend zusätzlich zu diesen als Angebot geschlechterunspezifische Toiletten einrichtet. Auch in vielen Schulen werden auf Wunsch der Schülerinnen und Schüler sogenannte „Unisex“-Toiletten gebaut, in Universitäten FLINTA-Toiletten, zu denen alle Personen außer cis-Männern Zugang haben – aus Sicht des Autors auch nicht ganz diskriminierungsfrei, wird hier doch unterstellt, man müsse den Rest der Menschheit vor cis-Männern schützen – grundsätzlich, vor jedem einzelnen „normalen“ Mann, nur weil er ein Mann ist. Hallo? Anti-Diskriminierungsgesetz?
Unisex-Toiletten werden längst gebaut
Das bedeutet: Geschlechterunspezifische Toiletten werden schon heute gebaut – immer mehr. Bislang gibt es dafür keine aufgeschriebenen technischen Regeln. Jedes Mal, wenn aktuell geschlechterunspezifische Toiletten gebaut werden, werden sie nach dem Ermessen des jeweiligen Planers (Architekt, TGA-Planer) gebaut. Das läuft mal besser, mal weniger gut. In diesem Kontext soll die Richtlinie VDI 6000 mit ihren Empfehlungen helfen.
Die Ausschussmitglieder haben sich viele Gedanken über Privatsphäre, Hygiene und weitere Schutzbedürfnisse gemacht, existierende Einrichtungen gesichtet und Vorschläge erarbeitet, wie allen Nutzergruppen geschützte, benutzungsfreundliche Sanitärräume angeboten werden können. Herausgekommen sind dabei Festlegungen wie – um nur ein Beispiel zu nennen – raumhohe Kabinenwände. Diese sind schon baulich aufwändiger als die üblichen aufgeständerten Trennwände, bei denen es oben und unten viel Luft gibt.
Da die Wände vom Boden bis zur Decke reichen, braucht jede Kabine Licht und Lüftung, und die Reinigung dauert länger. Das wiederum bedeutet: Kosten! Gibt es keine technischen Vorgaben, ist die Sensibilisierung für das Thema gering und die Versuchung groß für einen Gebäudeeigentümer, Kosten zu minimieren. Mit der Richtlinie gibt es nun Empfehlungen für den Schutz der Privatsphäre auch bei geschlechterunspezifischen Toiletten.
Lieber richtig als billig
Die Richtlinie VDI 6000 beschreibt nebeneinander, ohne Präferenz, beides: klassische Männer- und Frauen-Toiletten und geschlechterunspezifische Toiletten. Sie beschreibt nicht das Ob, sondern das Wie. Werden geschlechterunspezifische Toiletten nach den diesbezüglichen Empfehlungen gebaut, ist ein Standard für bestimmte Schutzgüter wie die Privatsphäre gegeben.
Fallen diese Empfehlungen weg, wie in vielen Einsprüchen gefordert, gilt „Freistil“; und man muss befürchten, dass eher auf die Kosten als auf den Schutz der Privatsphäre geschaut wird. Die Aussage der VDI 6000 ist also nicht „Baut (nur noch) geschlechterunspezifische Toiletten!“, sondern „Wenn Du, lieber Bauherr, geschlechterunspezifische Toiletten bauen willst, dann tu es richtig, und das bedeutet Folgendes: …“
Mit Blick auf das Ziel, Frauen schützen zu wollen, ist daher der Einspruch „Beschreibt keine geschlechterunspezifischen Toiletten!“ aus meiner Perspektive widersinnig.
Kommentare
Inzwischen haben 4 Leser einen Kommentar hinterlassen.Bislang kannte ich nur gemauerte Einzeltoiletten, Damentoiletten mit raumhohen Trennwänden sowie Herrentoiletten mit raumhohen Trennwänden zwischen den Sitzabortkabinen und aufgeständerten Trennwändchen zwischen den Pissoirs. Wenn ich höre, dass das Berghain die letzteren nun auch auf der Damentoilette eingeführt hat und Toilettenanlagen mit mehreren Kabinen für alle Geschlechter freigegeben werden sollen, packt mich das kalte Grausen. Richtig wären verbindliche Bauvorschriften, die genau in die entgegengesetzte Richtung gehen, also möglichst viele gemauerte Einzeltoiletten, auf denen man teilweise sein Kind und auf jeden Fall sich selbst wickeln kann. Schließlich gibt es auch Erwachsene, die etwas androgyn aussehen oder Inkontinenzeinlagen benötigen. Auch diese Menschen wollen sich außerhalb der eigenen vier Wände frei und sicher bewegen, und hierfür ist der diskriminierungs- und stigmatisierungsfreie Zugang zu öffentlichen Toiletten und, soweit noch arbeitsfähig, Toiletten am Arbeitsplatz unabdingbar.
Hallo Gudrun Bartels, Frauen sind im Vorraum der Toilette genauso sicher wie in jenem Raum, in dem sie nach dem Händewaschen zurückkehren, sei es ein Café, ihr Büro, ein Seminarraum oder was auch immer. Unisex-Toiletten sind insgesamt sicherer, weil sie von doppelt so vielen Menschen konsultiert werden, die im Zweifelsfall eingreifen können. Hören Sie auf, das Märchen von der unschuldigen, hilf- und wehrlosen Frau zu verbreiten. Das schadet im Endeffekt nur den Frauen, die tatsächlich glauben, dass sie wehrlos wären – selbsterfüllende Prophezeiung nennt sich das.
Grundsätzlich sind aufgeständerte Trennwände in jeder Hinsicht einfacher und günstiger: Man kann zum Beispiel. beim Reinigen besser lückenlos wischen, es muss nicht jede Kabine individuell beleuchtet und belüftet werden. Raumhohe Kabinen bieten demgegenüber jeder nutzenden Person mehr Privatsphäre; die meisten von uns möchten bei persönlichen Entsorgungsgeschäften nicht an die Nähe weiterer Personen erinnert werden. Dieser Wunsch nach Privatsphäre wird höher bewertet, wenn in der Nachbarkabine eine Person anderen als des eigenen Geschlechts Platz nimmt und ist unabhängig vom eigenen Geschlecht. Für eine größere Gefährdung bei geschlechterunabhängig nutzbaren Toiletten ist uns keine Evidenz bekannt. Die Fragestellung wurde 2019 von Hasenbush, Flores und Hermann in den USA sehr systematisch untersucht (siehe https://doi.org/10.1007/s13178-018-0335-z). Es lohnt, die ganze Studie zu lesen. Es ist spannend zu sehen, wie viel Gehirnschmalz die Forschenden investiert haben, um valide Aussagen zu erhalten. Ich gebe hier nur die Zusammenfassung wieder (Maschinenübersetzung, geringfügig nachbearbeitet):
"Gesetze, Verordnungen, Rechtsstreitigkeiten und Wahlvorschläge, die den Zugang zu öffentlichen Toiletten für Transgender-Personen betreffen, haben in den letzten drei Jahren in den letzten drei Jahren drastisch zugenommen. Die Gegner von Gesetzen zur Nichtdiskriminierung in öffentlichen Einrichtungen, die die Geschlechtsidentität einschließen, führen häufig die Befürchtung ins Feld, Sicherheit und Privatsphäre würden verletzt, wenn solche Gesetze erlassen würden. Befürworter hingegen argumentieren, dass solche Gesetze zum Schutz von Transgender-Personen erforderlich seien und die Bedenken hinsichtlich der Verletzung von Sicherheit und Privatsphäre unbegründet seien. Keine empirischen Beweise wurden gesammelt, um die Auswirkungen solcher Gesetze zu prüfen. In dieser Studie werden die Ergebnisse von paarweise durchgeführten Analysen von Gemeinden in Massachusetts mit und ohne die Geschlechtsidentität einschließende Nichtdiskriminierungsverordnungen für öffentliche Unterkünfte. Die Daten stammen aus öffentlichen Aufzeichnungen von Berichten über kriminelle Vorfälle im Zusammenhang mit Übergriffen, Sexualverbrechen und Voyeurismus in öffentlichen Toiletten und Umkleideräumen, um Verletzungen der Sicherheit und Privatsphäre in diesen Räumen zu messen. Diese Studie zeigt, dass die Verabschiedung solcher Gesetze nicht mit der Anzahl oder Häufigkeit von kriminellen Vorfällen in diesen Räumen zusammenhängt. Außerdem zeigt die Studie, dass Berichte über Verletzungen der Privatsphäre und Sicherheitsverletzungen in öffentlichen Toiletten, Umkleideräumen und Umkleidekabinen äußerst selten sind. Diese Studie liefert Beweise dafür, dass Befürchtungen, dass die Antidiskriminierungsgesetze zu einer Zunahme von Verletzungen der Sicherheit und der Privatsphäre führen, empirisch nicht begründet sind."
Danke für das Beispiel, Herr Wollstein. Unisex-Toiletten sollen also raumhohe Kabinen zum Schutz der Privatsphäre erhalten. Die wäre demnach sonst beeinträchtigt. Für wen, durch wen und wodurch spezifisch?
Ich denke, wir beide kennen die Antwort. Es geht um mögliche Belästigung von Frauen. Wenn Sie also davon ausgehen, dass es in Unisex-WCs die Gefahr von Belästigung gibt, wären wir ja schon mal weiter bei der Frage des Schutzraums. Wie wollen Sie denn baulich sicherstellen, dass Frauen im allgemein zugänglichen Vorraum genau so sicher sind, wie bisher in reinen Frauenräumen? Oder war das nicht ihre Prüfaufgabe?
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