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Im Patentrecht umfasst der Begriff alle bislang bekannten Verfahren oder Vorrichtungen. Sie müssen also bereits veröffentlicht sein. Einer Erfindung wird folglich erst dann das Prädikat neu zugesprochen, wenn sie sich vom Stand der Technik abhebt. Daher findet man in Patentschriften recht oft einen Bezug zum Stand der Technik. Denn es gilt, die wesentlichen Neuerungen gegenüber dem Ist-Zustand darzustellen. Es geht jedoch nicht nur um den Entwicklungsstand. Im Kontext des Umweltrechts etwa spielen andere Aspekte eine wesentliche Rolle, beispielsweise wie sich negative Auswirkungen auf die Umwelt vermeiden lassen.
Technischer Fortschritt als risikobehaftete Vorgehensweise?
Ingenieurinnen und Ingenieure sowie Juristen bezeichnen übereinstimmend die Wahrscheinlichkeit eines Schadeneintritts als Risiko, wobei die zu erwartende Eintrittshäufigkeit und der zu erwartende Schadensumfang gleichberechtigt in die Überlegungen miteinbezogen werden (Nicklisch RWTÜV-Schriftenreihe, Seite 9). Hierbei ist zu beachten, dass die mit der Verwirklichung des technischen Fortschritts einhergehenden Gefährdungen die höchstpersönlichen Rechtsgüter des Einzelnen (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit) absehbar unbeschadet lassen sowie gesellschaftliche Schutzgüter (Umweltschutz, Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung und Schonung der Ressourcen) nicht übermäßig belasten.
Anforderungen an den Stand der Technik
In den gesetzlichen Bestimmungen (siehe beispielhaft § 2 Abs. 10 BetrSichV) wird daher gefordert, dass die praktische Eignung einer Maßnahme oder Vorgehensweise zum Schutz der Gesundheit und zur Sicherheit der Beschäftigten oder anderer Personen auf der Basis des Jetztwissens gesichert erscheinen muss. Bei der Bestimmung des Stands der Technik muss man folglich insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranziehen.
Wirkung des Stands der Technik
Da die Einhaltung des Stands der Technik eine gesetzgeberische Forderung an den Arbeitgeber (insbesondere beim Arbeitsschutz) und/oder den Betreiber (insbesondere beim Umweltschutz) darstellt, lassen die Beachtung und die Umsetzung der schützenden Vorgaben des Stands der Technik vermuten, dass der/die Handlungsverpflichtete die zu erbringende Schutzzielvorgabe mit der stattgehabten Vorgehensweise sicher erreicht. Käme es gleichwohl zu einem Schadenseintritt obläge der handelnden Person nicht die Beweislast für die Recht- und Ordnungsgemäßheit ihres Tuns.
Abweichungen vom Stand der Technik
Neben den Rechtsfolgen ordnungswidrigen Verhaltens (Verwaltungsunrecht) aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht (z.B. eine Aufzugsanlage wird nicht gemäß den gesetzlichen Vorgaben geprüft) in der Gestalt von Bußgeldern, würde die Nichtbeachtung der schutzzielorientierten Vorgaben des Stands der Technik in einem Schadensfall (z.B. Quetschungen wegen des erhöhten Anpressdrucks der Schachttüren) neben zivilrechtlichen Konsequenzen (Schmerzensgeld) auch noch strafrechtliche Sanktionen (Geldstrafe) bedingen.
Resümee
Technik darf in nur sehr begrenztem Maße mit risikobehafteten Gefährdungen einhergehen. Soweit möglich sind gänzlich Schadeneintritte nennenswerten Ausmaßes zu vermeiden. Denn es haben zum Schutz der höchstpersönlichen Rechtsgüter und des gesellschaftlichen anerkannten Schutzkatalogs die Maßnahmen zum Schutz bei der Anwendung von Technik Beachtung und Umsetzung zu finden, deren Entwicklungsstand als fortschrittliche Verfahren die Betriebsweisen weitgehend sicher beherrschbar machen.
Kommentare
Inzwischen haben 5 Leser einen Kommentar hinterlassen.Vielen Dank für die bisherigen Kommentare. Wir möchten Folgendes hinzufügen:
Der Stand der Technik geht über die anerkannten Regeln der Technik hinaus und verkörpert das neuzeitliche Wissen. Wesentliches Element zur Bestimmung des Stands der Technik ist die dynamische Betrachtung des aktuellen technischen Entwicklungsstands. Der Stand von Wissenschaft und Technik hingegen umfasst die neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und übt einen starken Zwang hin zur Beachtung der wissenschaftlichen Forschung aus. Der Stand von Wissenschaft und Technik ist dynamischer als der Stand der Technik, weil er nicht durch das gegenwärtig Realisierte und Machbare begrenzt wird.
Freundliche Grüße von den Autoren
Gerne verweise ich in diesem Zusammenhang auf einen Aufsatz von Dr. Mark Seibel, Richter am OLG Hamm, aus dem Jahr 2013. Dieser trägt den Titel: Abgrenzung der "allgemein anerkannten Regeln der Technik" vom "Stand der Technik" (Neue Juristische Wochenschrift 41/2013).
Aus Sicht eines Technikers eine bemerkenswerte Stellungnahme eines Volljuristen. Der Vollständigkeit halber sei noch auf den dritten Begriff der Begrifflichkeit von "Technikhierarchie" verwiesen, nämlich dem "Stand von Wissenschaft und Technik".
Mir fehlt der Bezug zur harmonisierten EN ISO 14791:2019, die den „Stand der Technik“ wie folgt definiert hat:
„3.28 Stand der Technik entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind, basierend auf entsprechenden gesicherten Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung.“
Anmerkung zum Begriff: Der „Stand der Technik“ umfasst die gegenwärtig und allgemein anerkannte gute Praxis bei Technologie und Medizin. Der „Stand der Technik“ setzt nicht unbedingt die technisch fortgeschrittendste Lösung voraus. Der hier beschriebene „Stand der Technik“ wird mitunter als „allgemein anerkannter Stand der Technik“ bezeichnet.
In Ihren Ausführungen über den Begriff „Stand der Technik“ wird der Begriff sinngemäß der aRdT gleichgestellt. In den Schulungsunterlagen zur VDI 6022 wird die aRdT unter Punkt „Aktualität“ wie folgt definiert:
„Eine aRdT stellt diejenigen Prinzipien und Lösungen dar, die von der Wissenschaft als theoretisch richtig anerkannt, in der Praxis erprobt und bewährt sind, und die sich bei der Mehrheit der Praktiker durchgesetzt haben“.
Und unter Punkt „Ist die aRdT dasselbe wie „Stand der Technik?“ wird gesagt „Nein. Beim Stand der Technik liegt die Latte möglicherweise höher“.
Wenn Sie nun im gegenständlichen Beitrag schreiben: „Bei der Bestimmung des Stands der Technik muss man folglich insbesondere vergleichbare Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen heranziehen“ würde das bedeuten, dass ich Kenntnisse haben muss, die über die in den aRdT geforderten liegen.
In den Schulungsunterlagen zur VDI 6022 wird unter Punkt „Abweichungen von den aRdT sind zulässig, vorausgesetzt die bieten dieselbe Sicherheit“. Im gegenständlichen Beitrag wird die „Einhaltung des Stands der Technik [als] gesetzgeberische Forderung an den Arbeitgeber und/oder den Betreiber … dargestellt“.
Könnten Sie bitte die Begriffe „aRdT“ und „Stand der Technik“ näher erläutern insbesondere im Hinblick auf eine Haftung.
Best Dank und mit freundlichen Grüßen
Mag. Peter Trifonoff
ORCOP e.V.
Mir fehlt die Abgrenzung zwischen Stand der Technik und allgemein anerkannten Regeln der Technik. Die Forderung nach Einhaltung des Standes der Technik ist nicht derart umfassend in ihrer Rechtswirkung, wie das beschrieben wird. Oftmals beschränken sich behördliche Forderungen und Normen auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik.
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