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Herr Dr. Klotz, bei einer Katastrophe dieses Ausmaßes: Wo fängt man aus bautechnischer Sicht konkret mit dem Aufbau an?
Als Erstes müssen sich alle einen bautechnischen Überblick verschaffen. Für ein umfassendes Bild über den Zustand der zerstörten Region nehmen Fachgutachter unterschiedliche Aspekte auf. Hier geht es um die Standsicherheit von Gebäuden, der Verkehrsinfrastruktur und des Wasserbaus. Es braucht zusätzlich geotechnische Gutachten zur Hangsicherheit in den bergigen Regionen. Erst wenn alles begutachtet und vermessen ist, können wir die Zusammenhänge verstehen. Das ist immens wichtig, wenn wir auf bald wiederkehrende Starkregenfälle blicken.
Welche Techniken kommen denn hierbei zum Einsatz?
Wir können mit diversen Simulationstechniken das Hochwasser-Ereignis nachvollziehen und die Auswirkungen berechnen und prognostizieren. Hier kommt es darauf an, die Regenmengen und Windstärke über die Zeit abzuschätzen und mögliche Szenarien von Hochwassern, Strömungen und Wasserläufe in Abhängigkeit der Niederschlagsmengen zu ermitteln. Auf dieser Grundlage müssen dann Bauwerke und die Infrastruktur dimensioniert werden.
Resilientes Bauen ist gefragt
Das heißt, die Ortschaften können ja nicht wieder genauso aufgebaut werden. Welche Möglichkeiten des Hochwasserschutzes muss man beachten?
Wir müssen uns zunächst anschauen, wie die Bauwerke und Stadtteile in das Umland eingebettet sind und welche Wechselwirkungen zwischen Waldflächen, Flussläufen, und Landschaften bei starken Regenfällen bestehen. Dann ist vor allem resilientes Bauen gefragt. Das bedeutet, man muss mit dem Wissen, was wir heute über die klimatischen Veränderungen haben, wesentlich defensiver bauen. Nur so können wir Notsituationen vorbeugen. Flüsse, die vor einigen Jahren begradigt wurden, haben bei starken Regenfällen den Effekt wie eine Bobbahn. Das Wasser schießt dort durch und reißt alles mit sich. Solche Maßnahmen werden nun rückgängig gemacht. Auch das Bauland an Flussufern ist keine Toplage mehr. Häuser sollten so stabil gebaut werden, dass sie vor Hochwasser geschützt sind. Dächer brauchen mehr Anpassung an große Mengen Regen und Wind. Auch die Versiegelung großer Flächen ist ein Problem und wird wieder teilweise wieder rückgängig gemacht. Täglich werden Flächen von einer Größenordnung von bis zu 73 Fußballfelder in Deutschland versiegelt. Das Wasser kann so nicht versickern. Außerdem brauchen wir Entlastungstunnel für Wassermassen und Auffangbecken.
Das sieht nach vielen Einzelaufgaben aus. Verleitet das nicht zu vielen adhoc-Handlungen?
Absolut. Naturkatastrophen sind allerdings kein lokales Problem und werden künftig immer mehr zunehmen. Daher ist es wichtig, sich beim Aufbau der einzelnen Ortschaften nicht zu verzetteln. Es kommt auf einen ganzheitlichen Ansatz an, der die betroffenen Regionen als eine Großbaustelle angeht. Beim Aufbau ist ein gestaffeltes Vorgehen entscheidend. Auch wenn die Orte nicht wieder eins zu eins aufgebaut werden können, kann man mit Notfall-Baumaßnahmen schon viel erreichen, um historische Ortskerne zu schützen. Die Stadt Passau hat beispielsweise gezeigt, wie man hier erfolgreich sein kann und bereits einige Förderrichtlinien erlassen. Der Blick ins Ausland zeigt uns auch teilweise schon sehr gut, wie es gehen kann. Wir müssen kontinuierlich das Bewusstsein für mögliche Katastrophen bei den Bürgern schärfen und behördliche Vorgaben für das Bauen in gefährdeten Gebieten verschärfen. Die Annahmen und Dimensionierungen aus den 1970er- und 80er-Jahren sind heute nicht mehr ausreichend.
Konjunkturprogramm für den Bausektor ...
Blicken wir doch mal ins Ausland: Wie stehen wir denn im internationalen Vergleich im „resilienten“ Bausektor Ihrer Meinung nach da?
Da haben wir eindeutig noch Luft nach oben. Die Techniken sind da, aber die entsprechende Förderung nicht. In Deutschland sind wir aufgrund der geografischen und geologischen Lage bislang weit weniger extremen Naturereignissen ausgesetzt gewesen als andere Länder. Wir können hier von anderen definitiv lernen. Hochwasser ist in den Niederlanden sehr gut verstanden. Dort gibt es einige „Room for the River“-Programme. Japan kann mit Erdbeben und Sturzfluten auch sehr gut umgehen. In akademischen Kreisen ist das Wissen vernetzt und bekannt. Es muss lediglich für Stadt- und Landschaftsplanung zur Verfügung gestellt und umgesetzt werden.
So einfach geht das?
Das resiliente Bauen vor dem Hintergrund des Klimawandels bedeutet natürlich auch einen erheblichen finanziellen Aufwand. Die neuen Anforderungen gleichen fast einem Konjunkturprogramm für den Bausektor. Aber es ist eindeutig ein Schlüssel für die Begegnung der Klimawandelfolgen – und erhält dadurch auch enorme Chancen.
Mit der Natur bauen
Was lernen wir aus der Katastrophe?
Aus der Katastrophe lernen wir vor allem, dass es darauf ankommt, mit der Natur zu bauen und nicht gegen sie. Das Ereignis war kein Jahrhundertereignis. Wir werden mit häufigeren Extremwetterlagen rechnen müssen. Das dürfen wir nicht verdrängen. Niederschlag, Wind und Hitze bringen unterschiedliche Anforderungen an die Bauinfrastruktur mit sich. Der Klimawandel passiert direkt vor der Haustüre und nicht woanders. Das heißt, wir sind gezwungen, künftig anders zu bauen. Dafür braucht es aber auch die entsprechenden rechtlichen und normativen Rahmenbedingungen.
Interview: Hanna Büddicker
Kommentare
Inzwischen haben 4 Leser einen Kommentar hinterlassen.Ihr Denkansatz ist zukunftweisend. Wie Sie so schön erklären, muss man die Kosten über die Nutzungsdauer ansehen. Danach sehe auch ich als Laie, dass eine doppelt so teure Baumaßnahme über die Zeit gerechnet sowohl durch weniger Schäden als auch durch einen längere Nutzungsdauer letztendlich - pro Nutzungsjahr gerechnet - billiger sein kann. Wir werden sehen müssen, wie wir das organisiert bekommen. Alle Vorhaben gleichzeitig zu höheren Preisen zu realisieren werden wir uns im Moment gar nicht leisten können. Wir müssen Prioritäten setzen müssen. Wir brauchen Alles: Innovative, kreative und alte Lösungsansätze wie beispielsweise Warfen (In Norddeutschland zum Hochwasserschutz auf künstlich angelegte Hügel gebaute Dörfer), im Normalfall halbvolle Stauseen ... Man sollte in Überschwemmungsgebieten (Oderbruch) ruhig auch über trocken stehende Pfahlbauten nachdenken mit Parkplatz und schattiger Terrasse unter dem Haus. Da muss man im Schadensfall schlimmstenfalls den Hausanschluss Gas, Wasser, Abwasser und Strom neu herstellen.
Die Grenzen für Jahrhundertereignisse werden auch mit 50 Prozent Aufschlag wohl innerhalb eines Jahrhunderts durch die Wirklichkeit überholt werden. Wir sollten darüber nachdenken, für Jahrhundertereignisse plus 100 Prozent Aufschlag zu planen.
In der Tat sollten jetzt alle laufenden Bauleit-Planungen hinsichtlich des Ereignisses Extreme Starkregen überprüft werden und bei Bedarf auch entsprechend angepasst bzw. ertüchtigt werden. Dies sollte unbedingt in den Bereichen nahe von wasserführenden Gewässern auf den Prüfstand.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse für das Bauen in der Zukunft.
Wurde das bisher verschlafen in Forschung und Lehre an den Universitäten?
Ist unseren Architekten ihre wichtigste Aufgabenstellung bewusst?
Es wird mindestens noch 50 Jahre dauern, bis die Klima-Maßnahmen wirken. Bis dahin werden siçh die Szenarien noch drastisch verschlimmern.
Es ist höchste Zeit zum Aufwachen für die Zunft. Resilienz und Schutz von Leben, Hab und Gut sind die neuen Ziele.
Die Richtlinie VDI 6004 Blatt 1, an deren Erarbeitung ich seinerzeit aktiv mitwirken durfte, ist leider nicht mehr ganz aktuell. Zu überflutungsangepassten Planen und Bauen bestehen bereits erste Empfehlungen konzeptioneller und bautechnischer Art, die in VDI 6004-1 möglichst bald einfließen sollten, auch in Verbindung mit der Herausforderung zur Anpassung an den Klimawandel
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