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Die größten Herausforderungen für die Energiewende„Wir sind hochmotiviert, Lösungen für die Zukunft zu finden“
Eleni, Du leitest den Fachbereich „Energietechnik“ der VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt (GEU). Womit beschäftigt sich Dein Fachbereich schwerpunktmäßig?
Der Fachbereich Energietechnik beschäftigt sich mit allen Technologien der Energieerzeugung, -umwandlung und -anwendung. Umweltaspekte, soziale Aspekte und Wirtschaftlichkeit werden natürlich mitberücksichtigt. Die Themenvielfalt, die wir heute in unseren verschiedenen Fachausschüssen bearbeiten, hat sich über die letzten Jahre seit Gründung im Jahr 2010 kontinuierlich entwickelt.
Bausteine für eine erfolgreiche Energiewende
Mit der Wahl des aktuellen Fokusthemas „1,5 Grad – INNOVATIONEN.ENERGIE.KLIMA – Gemeinsam für das Klimaziel“ will der VDI aufzeigen, wie Ingenieur*innen dazu beitragen können, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wie bringt sich der Fachbereich „Energietechnik“ ganz konkret ein?
Die Arbeit meines Fachbereichs bildet die Basis für das aktuelle Fokusthema. Unsere Produkte aus den einzelnen Fachausschüssen, wie Richtlinien, Positionspapiere und Studien, unterstützen die Realisierung der Energiewende. Um das Klimaziel zu erreichen, brauchen wir deutlich mehr regenerative Energien: 80 bis 90, wenn nicht sogar 100 Prozent. Aber je mehr regenerative Energien ins Netz eingespeist werden, umso mehr verändert sich auch unser Energiesystem. Die Sonne scheint nicht immer und der Wind weht auch nicht immer. Daher musss das Energiesystem vernetzter, integrierter und damit optimierter werden. Alle Sektoren, wie Strom, Wärme und Verkehr sollen miteinander gekoppelt sein, und für diese Kopplung brauchen wir die Energiespeicherung.
Aber auch Energiesparen und Energieeffizienz gehören zu den wichtigen Säulen der Energiewende. Die Denkweise, dass die regenerativen Energien unbegrenzt und kostenlos sind, ist nicht richtig. Regenerative Energien brauchen Materialien und Flächen, beides stellen begrenzende Faktoren dar. Kreislaufwirtschaft ist gefragt, um Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu entlasten. Langlebige, sozial- und umweltschonend produzierte Waren sind ein wichtiger Baustein bei der Erreichung unserer Klimaschutzziele.
„Die größte Herausforderung ist die Wärmewende“
Auch über den Beitrag zum Klimaschutz hinaus hält die Zukunft viele neue Herausforderungen für Ingenieur*innen bereit. Wo siehst Du Deinen Fachbereich in den kommenden fünf bis zehn Jahren?
Konstantinidou: Viele Aspekte, die wir mit unseren Expert*innen jetzt behandeln, werden wahrscheinlich in fünf oder zehn Jahren ganz anders bewertet. Wo stehen wir beispielsweise in zehn Jahren im Bereich Stromerzeugung, Wärmeerzeugung, Speicherung, Mobilität? Technologien, die regenerative Energien nutzen, werden durch Forschung und Weiterentwicklung effizienter und wahrscheinlich wirtschaftlicher. Neue Konzepte werden entstehen. Energiewende wird landläufig mit Stromerzeugung aus regenerativen Energien gleichgesetzt, aber das reicht bei Weitem nicht. Eine Energiewende ohne eine Verkehrs- und Wärmewende wird es nicht geben.
Welchen Beitrag können die Ingenieur*innen des Fachbereichs „Energietechnik“ leisten, um die Zukunft für die Menschen lebenswerter zu gestalten und gleichzeitig die Umwelt zu schützen? Welche Herausforderungen gibt es dabei?
Konstantinidou: Die größte Herausforderung ist sicherlich die Wärmewende: Wie spare ich in einem Ein- oder Mehrfamilienhaus Energie ein? Welche Technologie ist die geeignetste für mein Objekt? Mache ich parallel eine Wärmedämmung, und wie teuer ist das? Können Hausbesitzer zum energieeffizienten Sanieren verpflichtet werden? Übrigens liegt die aktuelle Sanierungsquote in Deutschland bei nur bei einem Prozent.
Aber auch im Verkehr gibt es viele Fragen: Nutze ich noch ein Auto mit Verbrennungsmotor oder kaufe ich lieber ein Auto mit Batterieantrieb? Sind Wasserstoffautos mit Brennstoffzellen schon eine Option? Wie viel kostet mich das? Wo finde ich eine Ladesäule oder eine Wasserstofftankstelle? Oder ändert sich das Verkehrskonzept meiner Stadt durch eine bessere Taktung des ÖPNV und bin auf das Auto dann vielleicht gar nicht mehr angewiesen?
Eine weitere Herausforderung stellt die Akzeptanz in der Bevölkerung dar. Momentan kommen 40 Prozent des Stroms aus regenerativen Energien, aber nur 17 Prozent des Gesamtenergiebedarfs werden aus regenerativen Energien gedeckt. Und selbst bei diesem noch geringen Prozentsatz gibt es schon Akzeptanzprobleme, wenn man beispielsweise an Windkraftanlagen denkt.
Ganz aktuell ist ja auch die Diskussion über die nationale Wasserstoffstrategie, ihr Einsatz im Verkehr und in wichtigen Industriezweigen, wie z.B. der Petrochemie, Stahlindustrie oder chemischen Industrie. Die Frage ist aber, woher kommt der Wasserstoff? Produzieren wir ihn in Deutschland mit Strom aus regenerativen Energien oder importieren wir ihn? Wo setzen wir den Wasserstoff zuerst ein: in der Industrie, Verkehr, Wärme?
Uns ist bewusst, dass es auf alle diese Fragen nicht die eine Antwort gibt. Aber wir im Fachbereich Energietechnik sind hochmotoviert, gemeinsam und angepasst an die jeweiligen Gegebenheiten, Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.
Expertise wird zu abgestimmten Meinungen
Mal angenommen, Du wärst kein VDI-Mitglied. Würde Dich die Arbeit des Fachbereichs „Energietechnik“ überzeugen, Mitglied zu werden? Wenn ja, was daran genau? Wie könnte der Fachbereich seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit noch verbessern?
Überzeugen würde mich das unglaubliche Potenzial an gebündeltem Wissen und der schnelle, direkte Zugriff darauf. Der Fachbereich vermittelt in seinen Produkten keine extremen Positionen, sondern abgestimmte Meinungen aus paritätisch besetzten Ausschüssen. Ich spreche hier nicht nur von Richtlinien, sondern vielmehr von Positionspapieren, Stellungnahmen und Kommentierungen. Als Mitglied werde ich regelmäßig über die Produkte des Fachbereichs, dem ich zugeordnet bin, informiert.
In der Öffentlichkeit ist mein Fachbereich schon sehr präsent. Das aktuelle VDI-Fokusthema trägt ganz klar dazu bei, diese Präsenz noch zu vergrößern, aber man kann natürlich immer noch viel mehr machen. Um sich jedem Thema widmen zu können, wäre allerdings mehr Personal notwendig.
Und Dein ganz persönliches Highlight in der Arbeit im Fachbereich „Energietechnik“? Also, was war oder ist besonders spannend? Wo hast Du richtig was nach vorne gebracht? Zum Beispiel durch eine Veranstaltung, eine Publikation, oder…?
Ich bin seit fast 30 Jahren im VDI und habe in dieser Zeit sehr viele Highlights erlebt, von daher gibt es für mich nicht das eine Highlight. Aus der Arbeit der letzten Zeit sticht die gemeinsame VDI/VDE-Studie zu Brennstoffzellen- und Batteriefahrzeugen und deren Bedeutung für die Elektromobilität heraus. Wir haben auf der Basis der Studie auch die nationale Wasserstoffstrategie kommentiert. Seit Veröffentlichung der Studie im Juni 2019 vergeht kaum ein Tag, wo ich nicht Anfragen zum Thema Wasserstoff bekomme. Diese große Wahrnehmung in Presse und Öffentlichkeit ist immer wieder aufs Neue beeindruckend und daher ganz klar mein aktuelles Highlight. Ein weiteres Highlight ist für mich die aktuelle Publikation „Fotovoltaik im Energiesystem. Der Joker der Energiewende?“.
Interview: Alice Quack
Mehr Infos:
Hier geht es zur Seite des Fachbereichs Energietechnik. Die aktuelle Publikation „Fotovoltaik im Energiesystem. der Joker der Energiewende?“ steht kostenfrei zum Download zur Verfügung. Mehr über die VDI-Gesellschaft Energie und Umwelt hier.
Ingenieurkompetenz à la carte: Die VDI-Fachbereiche
In aktuell 53 Fachbereichen von „A“ wie „Architektur“ über „S“ wie „Schwingungstechnik“ bis „Z“ wie „Zuverlässigkeit“ bündelt der VDI die gesamte Ingenieurkompetenz. Die Fachbereiche sind den 12 VDI-Fachgesellschaften thematisch zugeordnet und gehören zum Bereich Technik und Gesellschaft (https://www.vdi.de/tg-fachgesellschaften). Nirgendwo wird die interdisziplinäre Ausrichtung des VDI so deutlich, wie hier und nirgendwo ist das Engagement der ehrenamtlichen Expertinnen und Experten so groß und fachlich vielfältig.
In unserer neuen Interview-Reihe wollen wir in den kommenden Monaten die einzelnen Fachbereiche des VDI e.V. genauer vorstellen. Passend zum diesjährigen Fokusthema des VDI „1,5 Grad – INNOVATIONEN.ENERGIE.KLIMA – Gemeinsam für das Klimaziel“ beginnen wir mit den Fachbereichen, die hier auf Grund ihrer fachlichen Expertise besonders gefragt sind, die Zukunft aktiv mitzugestalten.
Kommentare
Inzwischen hat 1 Leser einen Kommentar hinterlassen.1. Die Energiewende ist ein planwirtschaftlich organisiertes Großprojekt. Wie in jeder Planwirtschaft unvermeidlich muss zum Erreichen der Meilensteine immer wieder administrativ kontrolliert und nachgesteuert werden. Die Kontrolle geht von oben nach unten statt wie es besser wäre von unten (von der Basis, von der Bevölkerung) nach oben. Der demokratisch vorgegebene Weg vom gesellschaftlichen Diskurs zu den Länder- und dem Bundesparlament wirkt als Störfaktor bei der Planabwicklung.
2. Die Energiewende ist eine deutsche Erfindung und sie berücksichtigt kaum, dass das wichtigste Ziel, der Klimaschutz, unberücksichtigt bleibt. Dabei wird der Tatsache keine Rechnung getragen, dass der deutsche Anteil am CO2-Ausstoß nur 2 % beträgt. Von dem 2% - Anteil beträgt die Windenergie alleine auch nur 3 %. Das bedeutet einen Reduktionseffekt von 0,06 % - so viel wie nichts.
3. Die Energiewende beinhaltet Abschaltung von Grundlastkraftwerken, die wir für die Versorgungssicherheit eigentlich dringend brauchen. Damit sind wir auf einem falschen Weg. Wir schalten zwar die sogar CO2-arme Kernenergie ab, haben aber keine Hemmungen, Strom aus ausländischen Kraftwerke zu importieren. Dadurch schädigen wir uns selbst, abgesehen vom Kompetenzverlust der in Deutschland entwickelten sehr sicheren Reaktor-Technologie.
4. Insgesamt sind wir auf einem falschen Weg und es sollten bald Überlegungen zur Umkehr angestellt werden.
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