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Wann lohnt sich ein Roboter?
Die Automatisierung mit kollaborierenden Robotern (kurz: Cobots) ist ein zunehmend gefragtes Mittel, um Abläufe in der gesamten Wertschöpfungskette zu optimieren. So kommt es, dass Betriebe sich oftmals die Frage stellen, bei welchen Prozessen sie mit dem Einsatz der Technologie starten können. Drei einfache Überlegungen reichen aus, um den Einstieg erfolgsbringend zu gestalten.
Die energieflexible Fabrik kann auf Schwankungen bei Strompreisen reagieren„Wir sind in der Lage, Türen zu öffnen“
Jean, du leitest den Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“ der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik. Erzähl uns doch kurz, womit sich der Fachbereich schwerpunktmäßig beschäftigt.
Die VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik bildet mit ihren Aktivitäten den kompletten Fabrikstandort ab, und zwar branchenunabhängig. Von der Stahlproduktion und -verarbeitung bis zur additiven Fertigung, von den klassischen Fertigungstechniken bis zur Intralogistik (also den innerbetrieblichen Material- und Warenflüssen) ist alles dabei. Im Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“ betrachten wir die Prozesse des Fabrikbetriebs und der Fabrikplanung unter dem Aspekt der digitalen Fabrik und der Fabriksimulation, aber auch hinsichtlich Instandhaltung und Ressourceneffizienz.
Gibt es den Fachbereich schon lange?
2008 wurden die Fachgesellschaften im VDI umstrukturiert. Die heutige Gesellschaft Produktion und Logistik (GPL) entstand aus den Bereichen „Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Betriebsingenieure“ (ADB) und „Fördertechnik, Materialfluss und Logistik“ (FML). In der ADB gab es bereits seit den 1970er Jahren den Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“.
Eine energieflexible Fabrik kann auf Schwankungen bei Strompreisen reagieren
Mit der Wahl des aktuellen Fokusthemas „1,5 Grad“ will der VDI aufzeigen, wie Ingenieur*innen dazu beitragen können, die Erderwärmung zu begrenzen. Wie bringt sich der Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“ ganz konkret ein?
Die Idee in der heutigen Fabrik ist es, Effizienzpotenziale zu finden und zu nutzen – im Sinne der Energieeinsparung von Strom, Gas, Wärme, Druckluft, Dampf. Mehr Effizienz bedeutet, den Verbrauch zu reduzieren, Verschwendung zu vermeiden und Energie nicht zuzukaufen, sondern selbst herzustellen. Die hier bereits getroffenen und noch zu treffenden Maßnahmen sind der Beitrag der Industrie, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. In der sogenannten „energieflexiblen Fabrik“ (VDI 5207 Blatt 1 Energieflexible Fabrik – Grundlagen) geht man noch einen Schritt weiter: Man steuert die Fabrik und ihre Prozesse so, dass man Energiebedarfe hochfährt, wenn am Markt große Mengen zu niedrigen Preisen zur Verfügung stehen und drosselt die Bedarfe der Fabrik, wenn verfügbare Mengen am Markt schrumpfen und die Preise steigen. Im Umkehrschluss bedeutet es aber, dass sich der Fabrikstandort intensiv mit dem Energieversorger vernetzen und intern seine gesamten Prozesse monitoren und steuern können muss. Außerdem braucht es quasi eine Art „Regenradar“ für die Energiepreise.
Mit Automatisierung und Digitalisierung dem Demografieproblem begegnen
Auch über den Beitrag zum Klimaschutz hinaus hält die Zukunft viele neue Herausforderungen für Ingenieur*innen und Naturwissenschaftler*innen bereit. Wo siehst du da deinen Fachbereich in den kommenden fünf bis zehn Jahren? Welchen Beitrag können die Expert*innen des Fachbereichs leisten, um die Zukunft für die Menschen lebenswerter zu gestalten und gleichzeitig die Umwelt zu schützen?
Im Moment läuft eine Digitalisierungs- und Automatisierungswelle durch Deutschland, die aus meiner Sicht auf ein Problem der nahen Zukunft passt: Die geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre gehen in den nächsten 10 Jahren in Ruhestand. Das macht einen riesigen Anteil von arbeitenden Menschen quer durch alle Branchen und Hierarchie-Ebenen aus. Arbeitskraft geht verloren, Know-how geht verloren. Zu ersetzen ist das nur durch Automatisierung und Digitalisierung: Ohne den Einsatz von Robotern in der Produktion und die Möglichkeiten, die die Digitalisierung über alle anderen Bereiche bietet, können wir dieses Demografieproblem nicht lösen. Die Kernausrichtung der Industriestandorte in Deutschland wird in den nächsten Jahren dennoch weitgehend unverändert bestehen bleiben: Produktions- und Fertigungstechnik, Energieversorgung, Logistik, Montage et cetera – aber eben automatisierter, digitaler. Daran werden sich auch die Aufgaben meines Fachbereichs weiterhin orientieren. Wir haben in den letzten Jahren in Deutschland neben den klassischen Industriebetrieben, wo gefertigt und montiert wird, auch die Grundstoffindustrie erhalten und zum Teil ausgebaut. Die Wertschöpfungskette beginnt bei uns also nicht beim Einkauf von Rohstoffen (wie Stahl, Alu, Kupfer), sondern – im Vergleich zum europäischen Ausland – bei der Herstellung dieser Rohstoffe: Wir stellen Stahl her aus Erz, wir stellen Aluminium her aus Bauxit, wir raffinieren Treibstoff und Kunststoffe aus Erdöl. Das wirkt sich positiv auf das Bruttosozialprodukt unseres Landes aus. Indem wir die Rohstoffindustrie, also den Produktionsstandort, im eigenen Land haben, können wir auch die Herstellungsparameter direkt beeinflussen. Das gilt natürlich auch für die Umweltschutzauflagen zur Wasser- und Luftreinhaltung. Abfallvermeidung und der schonende Einsatz von Ressourcen, insbesondere durch Rückführung von Wertstoffen direkt in den Rohstoffprozess, gehören ebenfalls dazu.
Gibt es andere Fachbereiche respektiv Gesellschaften im VDI, mit denen du und deine Kolleg*innen eng zusammenarbeitet?
Wir arbeiten mit der VDI/VDE-Gesellschaft Mess- und Automatisierungstechnik (VDI-GMA) zusammen, aber auch mit den Betriebsingenieuren und Instandhaltern der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen (VDI-GVC) gibt es zahlreiche Synergien. Zum Teil starten wir Projekte, die wir dann an andere Fachbereiche weitergeben. Ein Beispiel ist eine Richtline zu Drohnen, die jetzt von der Gesellschaft Fahrzeug und Verkehrstechnik weiterbetreut wird. Es ist gängige Praxis, Themen fachgesellschafts- und -bereichsübergreifend abzustimmen, um die bestmögliche Expertise einfließen zu lassen.
Viel ungenutztes Potenzial trotz spannender Themen
Mal angenommen, du wärst kein VDI-Mitglied. Würde dich die Arbeit des Fachbereichs „Fabrikplanung und -betrieb“ überzeugen, Mitglied zu werden? Wenn ja, was daran genau?
Ich bin tatsächlich erst VDI-Mitglied geworden, als ich beim VDI angefangen habe. In meinen 20 Jahren in der Industrie habe ich den VDI als ernstzunehmenden „Lieferanten“ von Know-how kaum wahrgenommen, bestenfalls im Zusammenhang mit Regelwerken. Ich bin als junger Ingenieur nie darauf aufmerksam gemacht worden, weder im Studium noch im Job. Und das ist vermutlich das gleiche Problem, wie von vielen der anderen ungefähr 1,3 Millionen arbeitenden Ingenieuren in Deutschland. Da liegt ein riesiges, bisher weitgehend ungenutztes Potenzial für die Mitarbeit an den spannenden Themen, die wir im VDI bearbeiten und damit auch für die Akquise neuer Mitglieder.
Wie könnte der Fachbereich seine Wahrnehmung in der Öffentlichkeit noch verbessern?
Wenn wir unseren Fachbereich intensiver bewerben wollten, müssten wir andere Aufgaben lassen, weil es mühsam ist und viel Zeit kostet. Die Themen und die Zusammenhänge sind komplex und erfordern oftmals kreative und außergewöhnliche Ansätze, sie öffentlichkeitswirksam zu platzieren. Der Großteil der Ingenieure tut sich schwer damit, über das was er macht, auch zu reden. Die Komplexität der Arbeit erleichtert das nicht gerade und die Öffentlichkeit neigt dazu, jemanden schnell als Besserwisser oder Nerd abzustempeln. Die Welt der Ingenieure wird immer noch komplexer, da kommt es auch auf die Aufnahmefähigkeit und das Interesse der Öffentlichkeit und der Politik an, sich die Dinge bis zu Ende anzuhören und verstehen zu wollen. Wir im VDI machen da schon eine ganze Menge richtig: wir liefern verdauliche Häppchen in neuen Formaten, zugeschnitten auf die Zielgruppe; wir lösen nur das generelle Problem dieser Kommunikation nicht.
„Das Ohr auf der Schiene, ohne dass man den Zug schon sehen kann“
Und dein ganz persönliches Highlight in der Arbeit im Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“? Also, was war oder ist besonders spannend?
Zehn Jahre bin ich jetzt im VDI im Fachbereich „Fabrikplanung und -betrieb“ und genieße es, mit denjenigen Ehrenamtlichen zusammenarbeiten zu können, die bei vielen neuen technologischen Entwicklungen ganz vorne dabei sind. Oft bekommen wir sogar Themen auf den Tisch, die noch nicht reif für eine technische Regel sind. Das Privileg, Sachverhalte zu kennen, bevor überhaupt irgendjemand aus der Industrie davon weiß, macht die Arbeit hier im VDI extrem spannend: Quellen anzapfen können, die andere nicht haben – das Ohr quasi auf der Schiene, ohne dass man den Zug schon sehen kann. Ein Highlight sind immer auch die Betriebsbesichtigungen, die wir im Zusammenhang mit externen Gremiensitzungen durchführen (momentan natürlich Corona bedingt nicht). Man kommt dabei in Betriebsbereiche, von denen nicht mal ich wusste, dass es sie in Deutschland gibt – teilweise sehr spektakulär, egal ob in der Grundstoffindustrie oder beispielsweise bei der Herstellung von Elektronikkomponenten – von ganz groß bis ganz klein, von ganz einfach bis hochkomplex. Mit diesem Pfund sollten wir aus meiner Sicht mehr wuchern. Wir sind als VDI in der Lage, Türen zu öffnen und Dinge sichtbar zu machen, die interessierte Ingenieur*innen in ihrem Leben sonst nie sehen würden.
Das ist aber doch ein Riesenargument für eine VDI-Mitgliedschaft!?
Ja, natürlich! Aber wir nutzen das bisher nur im Rahmen unserer Gremienarbeit, und die Bezirksvereine nutzen es auf regionaler Ebene. Wir müssen genau das ausweiten oder zumindest besser darüber kommunizieren, dass der VDI diese Möglichkeit bietet: eine „Sendung mit der Maus“ für Große (schmunzelt).
Interview: Alice Quack
Ingenieurkompetenz à la carte: die VDI-Fachbereiche
In aktuell 53 Fachbereichen von „A“ wie „Architektur“ über „S“ wie „Schwingungstechnik“ bis „Z“ wie „Zuverlässigkeit“ bündeln wir die gesamte Ingenieurkompetenz. Die Fachbereiche sind den Fachgesellschaften thematisch zugeordnet und gehören zum Bereich Technik und Gesellschaft.
In unserer neuen Interview-Reihe wollen wir in den kommenden Monaten die einzelnen Fachbereiche des VDI e.V. genauer vorstellen. Passend zum diesjährigen Fokusthema 1,5 Grad beginnen wir mit den Fachbereichen, die hier wegen ihrer fachlichen Expertise besonders gefragt sind, die Zukunft aktiv mitzugestalten.
Und, Interesse an einer VDI-Mitgliedschaft? Hier finden sich alle Informationen.
Aber wozu eine Mitgliedschaft im VDI? Hier eine charmante Antwort unseres Präsidenten!
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