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Der anfängliche Hype war groß. Aber insbesondere bei den groß angekündigten, „völlig neuen Geschäftsmodellen“ und bei den meist wirklich mutigen, unternehmensübergreifenden Projekten herrscht weitgehend immer noch Flaute. Dabei stehen Daten wegen den neuen, drahtlosen Kommunikationstechniken und den Möglichkeiten, große Datenmengen zu verarbeiten und zu speichern, theoretisch jederzeit und überall zur Verfügung. Also fragen wir: Warum ist das so schwierig, Digitalisierungsprojekte erfolgreich umzusetzen? Den Mehrwert für die Organisationen zu messen, stellt doch einen elementaren Aspekt dar.
Weshalb die Digitalisierung hierzulande so schleppend vorangeht
Im Interdisziplinären Gremium Digitale Transformation (IGDT) des VDI sind die Erfahrungen vieler Branchen und zahlreicher Projekte gebündelt. Nach unserer Einschätzung liegen die zentralen Ursachen der Trägheit, neben den technologischen Barrieren, insbesondere im Management der Geschäfts- und Veränderungsprozesse. Das heißt, es gibt nicht nur Defizite in der Fähigkeit zur Transformation, also dem „Können“, sondern auch im „Wollen“, und ganz oft auch im „Dürfen“ innerhalb der Unternehmenshierarchie, weshalb die Digitalisierung in Deutschland so schleppend vorangeht. Um diese Barrieren zu überwinden, müssen Sie Antworten auf die folgenden Fragen finden:
- Was ist der Mehrwert für mein Geschäft? („Business first“, nicht Technologie)
- Was sind die konkreten Ziele und Erfolgskriterien, an denen ich den Erfolg der digitalen Transformation festmache?
- Wie muss die digitale Transformation in die durchgängige (Innovations-) Strategie meiner Organisation eingebunden sein, und wie erzeugen wir Mut zu Veränderungen?
- Wie können wir sicherstellen, dass eine ganzheitliche Optimierung der funktionsübergreifenden Prozesse von Allen mitgetragen wird?
- Wie kann ich ein ganzheitliches Verständnis meiner Geschäftsprozesse herstellen?
- Welche Anpassungen an meinem Komplexitätsmanagement muss ich vornehmen, damit es mich effektiv bei neuen Digitalisierungs-Projekten unterstützt?
- Welche Vorbereitungen muss mein Unternehmen hinsichtlich Projektmanagement und notwendiger Ressourcen treffen, um diese Komplexität zu managen?
- Welche Kompetenzen zur Bewertung digitaler Technologien müssen wir aufbauen?
- Wie können agile Projektstrukturen die in den meisten Unternehmen dominanten hierarchisch-funktionalen Strukturen überwinden?
- Welche Kenntnisse muss meine Organisation im Bereich „Changemanagement“ aufbauen, um die Veränderungen in der Organisation, den Prozessen, Rollen und Aufgaben zu meistern, die mit neuen Technologien verbunden sind?
Immer noch das Land der Technik-Verliebten und Tüftler
Deutschland ist immer noch das Land der Technik-Verliebten und Tüftler. Das ist sehr hilfreich, um Technologien zur Reife zu bringen. In frühen Phasen ist das aber häufig auch hinderlich. Schauen wir auf die erfolgreichen Entwicklungen in der Digitalisierung, so haben diese mit einen überschaubaren, aber klar definierten Kundennutzen gestartet; „Wie finde ich eine Information im Internet?“; und dann wurden zunächst prototypische Lösungen entwickelt. In deutschen Landen findet man noch viele Projekte, die mit einer Technologieimplementierung à la „Wir installieren eine IoT-Plattform“ starten. Jedoch kommt erst nach vielen Mühen der Einbindung und Installation die Frage nach dem (Kunden-)Nutzen oder dem Wettbewerb auf.
Digitalisierung kann Transparenz in den Prozessen schaffen, hilft über das Datenmanagement Prozesse besser/einfacher vorhersehbar/planbar zu machen und im Endausbau die Prozesse autonom, d.h. selbstregelnd, zu gestalten. Es geht also darum, komplette Geschäftsprozesse, etwa die Supply Chain, datengetrieben zu managen. Die Projekte überschreiten in den meisten Fällen Organisations- oder Abteilungsgrenzen. Die gesamte Organisation muss daher ein gemeinsames Prozessverständnis der abteilungsübergreifenden Geschäftsprozesse haben. Es ist erschreckend, wie viele Organisationen, ob klein oder groß, immer noch funktional orientiert sind und mehr in Organigrammen als in Geschäftsprozessen denken, obwohl die Wertschöpfung nur über die Geschäftsprozesse generiert wird.
Gleichzeitig geht es um ein „Change Projekt“
Die Veränderungen betreffen daher nicht nur die Prozesse selbst und die eingesetzte Technologie, sondern auch das Zusammenwirken der Organisation, die Rollen und Verantwortlichkeiten bis hin zu den tatsächlichen Aufgaben und Tätigkeiten innerhalb der Teams. Das bedeutet, dass jedes komplexere Digitalisierungsprojekt gleichzeitig auch ein „Change Projekt“ ist. Dies muss man entsprechend begleiten, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzubinden und mitzunehmen. Schließlich geht es darum, die erforderliche langfristige (!) Motivation für den Veränderungsprozess zu erreichen. Ohne diese „weichen“ Faktoren zu berücksichtigen, kann die Digitalisierung ihren Nutzen nicht voll entfalten.
Hinweis
Weitere Informationen zu unserem Fachbereich Digitale Transformation finden Interessierte auf dessen Webseite. Dort stehen neben Hinweisen zu Veranstaltungen auch wichtige Dokumente wie Richtlinien zum Download bereit.
Kommentare
Inzwischen haben 3 Leser einen Kommentar hinterlassen.Exzellente Expertise zum Stand der Umsetzung in der digitalen Transformation!
Wie ich in Ihren Artikel lese, produziert der Start von Chemie & Pharmabranche ins modulare Zeitalter der Digitalisierung durch die Vielzahl weniger erfolgreich verlaufender Projekte, schon länger eine große Anzahl von Fragen & Zweifel bei Beobachtern aus Industrie und Wirtschaft.
Insbesondere die Einzelthemen des Verkaufsslogans Industrie 4.0, wie zum Beispiel IIoT, IoT, NOA, MTP ect., scheint man bezüglich der Wichtigkeit für die Flexibilisierung vorhandener, oder neuer Produktionsprozesse suboptimal einzuordnen, weshalb die operative Umsetzung gemäß der wirtschaftlichen Zielsetzung oft misslingt.
Herausstechend aus der Vielfalt dieser Einzelthemen in einem Industrie 4.0 Konzept ist das MTP zur Flexibilisierung von Produktionsprozessen, das übergeordnete orchestrieren und Steuern (Remote Control) eigenständig ablauffähiger Prozessmodule einer Produktionseinrichtung.
So wie ich Ihre Expertise verstehe, halten Sie den aktuell mehrheitlich praktizierten Perfektionismus zur Flexibilisierung mit Hilfe nationaler, oder gar internationaler Ausführungsrichtlinien für weniger zielführend, da diese auf absehbare Zeit, keine Komplettierung aller Einzel Konstrukte und direkt anwendbare Technik für eine skalierbare Umsetzung in der Großanlagenplanung oder einem Retrofit in Aussicht stellen können.
Gefordert scheinen somit zuerst einmal Lösungen in Form anlagenspezifischer modularer und nicht proprietärer Konzepte, die den schon heute sehr wichtigen Flexibilisierungsbedarf durch eine skalierbare Umsetzung bedienen können und dann auch noch systembedingt in der Lage sind, Fremdmodule mit geringem Aufwand später zu adaptieren.
Mit Ihrer Expertise adressieren Sie punktgenau alle wichtigen Themen, weshalb sich die aktuelle Geschwindigkeit in der Umsetzung von Industrie 4.0 Themen umgekehrt proportional zum verbalen Bekenntnis der Akteure entwickelt, an die richtigen Stellen.
Chapeau!
Guter Artikel!
Der erste Schritt ist der schwierigste: "Das haben wir schon immer so gemacht", "jetzt funktioniert es", "wir haben keine Zeit", "wenn wir Zeit hätten, hätten wir es richtig gemacht".
Manchmal (teilweise) zu Recht, denn die Systeme funktionieren nun einmal so, wie sie funktionieren. Niemand weiß genau wie, denn die, die das System eingerichtet haben, sind längst aus dem Unternehmen ausgeschieden oder sogar in Rente gegangen, und im Laufe der Zeit wurden alle möglichen Anpassungen vorgenommen. Unternehmen wollen dann nicht das Risiko eingehen, dass das System unerwartet zusammenbricht, weil die Nachteile des Scheiterns größer sind als die Nachteile der aktuellen Systemgrenzen.
Manchmal sind die angegebenen Gründe aber auch Beispiele für "penny wise, pound foolish".
Sie haben eine der besten Zusammenfassungen und eine umfassende Checklist für die digitale Transformation verfasst, die ich bislang gesehen habe, Danke!
Über die Aspekte des die digitale Transformation BEDINGENDE Change Management sollten wir uns alle, nicht nur im VDI, austauschen - Richtlinien helfen hier nicht weiter, auch wenn diese wichtig sind und Value Creation und dessen Management innerhalb der Digitization flankierend begleiten (könnten).
Bin gerne dabei!
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