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Alle, die es schon einmal ausprobiert haben, wissen, dass Fahrradfahren im Winter echt anstrengend ist. Ist das allein deshalb so, weil sich unser Körper in der Kälte auf Temperatur halten muss und es schwerer fällt, Muskelkraft auf die Pedale zu bringen? Oder gibt es weitere Gründe?
Ich picke mir hier einmal einen „fahrradfreundlichen“ Winter ohne Schnee und Eis heraus, es ist nur kalt. Diese Art von Winter kommt am Niederrhein in der Nähe der Düsseldorfer VDI-Geschäftsstelle durchaus häufig vor.
Ich bin kein Physiologe. Entsprechend kann ich auch nichts qualifiziertes dazu sagen, inwieweit es bei Minusgraden anstrengender ist, mit einer gewissen Kraft in die Pedale zu treten. Meine Erfahrung beim Wandern oder Radfahren im Winter sagt mir, dass das Bewegen „an sich“ in der Kälte anstrengender ist. Wahrscheinlich stimmt das auch, denn immerhin atmen wir eiskalte Luft ein und auf Körpertemperatur erwärmte Luft wieder aus. Das braucht genauso Energie wie die Tatsache, dass wir auch die Körperpartien auf Temperatur halten müssen, die sich gerade nicht durch Muskelaktivitäten aufwärmen.
Doch kommen wir zu den Dingen, die beim Radfahren typisch sind und nicht allgemein für den Ausdauersport im Winter gelten. Mit den Rädern sind wir (verglichen z. B. mit dem Wandern) relativ flott unterwegs und im Flachland ist die Luftreibung, der Windwiderstand, der Hauptgrund, warum es nicht noch schneller geht. Und diese Luftreibung wird bei Kälte größer, wie der folgende Versuch plausibel macht:
Experiment mit einer Plastikflasche
Wir nehmen uns eine dünnwandige Kunststoff-Getränkeflasche, wie sie bei Einweg-Pfandflaschen üblich sind. Wenn man diese Flaschen geöffnet nur ein bisschen zusammendückt, geben sie sofort nach. Diese stellen wir leer, aber geöffnet neben oder auf eine Raumheizung. Die Luft im Inneren der Flasche ist bald warm. Wir verschließen die Flasche und laufen damit durch die Winterkälte zum Pfandautomaten. Die Flasche in unserer Einkaufstasche wird also kalt. Bevor wir in den Supermarkt gehen, schauen wir uns die Flasche noch einmal an.
Sie wird etwas eingeknickt aussehen. Da die Flasche verschlossen ist, dürfen wir davon ausgehen, dass die Menge an Luft in der Flasche gleich geblieben ist. Aber das Volumen, das die eingeschlossenen Luft einnimmt, ist kleiner geworden. Wenn wir die Flasche wieder öffnen, strömt weitere kalte Luft in die Flasche hinein. Im kalten Zustand sind also mehr Gasteilchen (Luft ist ein Gasgemisch) in der Flasche als im warmen.
Aus unserem Versuch können wir schließen, dass in jedem Liter Winterluft mehr Gasteilchen sind als in der warmen Wohnung. Die Luft ist ist „dichter“. Und wenn wir mit dem Rad durch diese Winterluft sausen, müssen wir mehr Gasteilchen „beiseite“ schieben. Das ist nicht nur gefühlt, sondern tatsächlich anstrengend. Im Winter sind wir mit Winterjacke, Handschuhen etc. auch noch nicht so „windschnittig“ bekleidet wie im Sommer. So verstärkt sich der Effekt noch. Und wenn der Gegenwind obendrein noch schneller bläst, dann wird klar: Wir Winterradfahrer sind Helden! Für andere vielleicht auch einfach nur Wahnsinnige ...
Ja, es gibt noch mehr zu sagen
P.S.: Ja, ich weiß, die erhöhte Viskosität des Kettenfetts, die Probleme durch Raureif auf der Kette oder eingefrorene Bremsen, verringerte Akkureichweite bei Pedelecs und so weiter habe ich noch gar nicht diskutiert, aber der Beitrag ist auch so schon lang genug…
P.P.S.: Wenn ihr wissen wollt, um wieviel Prozent die Luft dichter wird, wenn man sie bei gleichem Druck einfach nur um ein paar Grad abkühlt: Dann einfach mal im Netz nach universellem Gasgesetz suchen und ein paar Zahlenbeispiele mit der recht einfachen Formel durchspielen. Und nicht vergessen: Die Temperatur wird dabei in Kelvin, nicht in Grad angegeben.
Kommentare
Inzwischen haben 11 Leser einen Kommentar hinterlassen.Perplexity hat diese Frage für mich bereits beantwortet. Ich war auf dem Holzweg :)
Sie haben eine interessante Beobachtung gemacht, aber die Auswirkungen der Luftfeuchtigkeit auf den Luftwiderstand beim Radfahren sind etwas komplexer. Lassen Sie uns die verschiedenen Faktoren genauer betrachten.
1. Einfluss der Temperatur
Kalte Luft ist in der Tat dichter als warme Luft. Wenn die Temperatur von 10°C auf 0°C fällt, steigt die Luftdichte und damit der Widerstand um etwa 3,5%[2]. Zwischen sommerlichen 30°C und winterlichen 0°C kann der Unterschied im Luftwiderstand bei gleicher Geschwindigkeit sogar bis zu 10% betragen[2].
2. Einfluss der Luftfeuchtigkeit
Entgegen Ihrer Vermutung führt ein höherer Wasserdampfgehalt in der Luft tatsächlich zu einer Verringerung der Luftdichte und somit des Luftwiderstands. Dies lässt sich folgendermaßen erklären:
1. Wassermoleküle sind leichter als die durchschnittliche molare Masse trockener Luft.
2. Mit steigendem Wasserdampfanteil sinkt die molare Masse des Luft-Wasserdampf-Gemisches.
3. Dies führt zu einer Vergrößerung der Gaskonstante R in der Zustandsgleichung für ideale Gase.
4. Da R im Nenner steht, wird die Dichte bei konstantem Druck und konstanter Temperatur kleiner[1].
3. Quantitative Auswirkungen
Die Auswirkungen der Luftfeuchtigkeit auf den Luftwiderstand sind jedoch relativ gering:
- Bei einer spezifischen Luftfeuchte von 0,01 (entspricht etwa 51% relativer Luftfeuchte bei 25°C und 1013 hPa) sind die Luftdichte und der Windwiderstand nur etwa 0,6% geringer[1].
- Dies entspricht bei einer Geschwindigkeit von 20-30 km/h lediglich einer Steigerung von 0,1-0,2 km/h[1].
4. Gesamteffekt
Zusammenfassend lässt sich sagen:
- Der Temperatureffekt überwiegt deutlich den Feuchtigkeitseffekt.
- Warme Luft senkt den Widerstand an sich schon, und da sie mehr Wasserdampf aufnehmen kann, wird dieser Effekt noch verstärkt.
- Das Radfahren ist umso anstrengender, je kälter und trockener die Luft ist.
Ihre Vermutung, dass der erhöhte Wasserdampfgehalt in warmer Luft den verringerten Luftwiderstand ausgleichen könnte, trifft also nicht zu. Im Gegenteil, der Feuchtigkeitseffekt verstärkt sogar noch den Temperatureffekt, wenn auch in geringem Maße.
Insgesamt bleibt der Temperatureinfluss der dominierende Faktor für den Luftwiderstand beim Radfahren, wobei die Luftfeuchtigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Vielen Dank für den spannenden Artikel! Seit Jahren frage ich mich, weshalb meine Leistung im Winter so arg nachlässt, obwohl ich weiterhin "mein Bestes" gebe. Ich hatte einen Verdacht, und dieser Artikel liefert mir nun endlich die Bestätigung :)
Was ich mich bezüglich des Luftwiderstandes allerdings frage: kalte Luft kann weniger Wasserdampf aufnehmen als warme Luft (absolute Luftfeuchtigkeit). Obwohl sie dichter ist, als warme, müssen wir somit gegen weniger Wasserdampf antreten. Im Vergleich zu andern Gasen müsste H2O wohl sperrig sein. Könnte das den erhöhten Luftwiderstand wieder einigermaßen ausgleichen, oder stelle ich mir das völlig falsch vor?
Die Radwege werden im Winter meist zuletzt gestreut, da nutzt auch nicht wenn ich oft erst um 8:00 Uhr morgens losradele. Abends wieder das Gleiche.
Selbst mit sehr guter Bereifung muss man sehr vorsichtig fahren.
Also mein Problem ist nicht primär die Kälte, auch wenn ich gefühlt doppelt so viel Kleidung wie beim Auto- oder Bahnfahren brauche. Mein Problem ist eher die Dunkelheit (ich fahre auch über Land ins Büro), glatte oder gar verschneite Radwege und der häufigere Regen. Das ist mir einfach zu gefährlich.
Vielen Dank für die Kommentare. Wir finden es spannend, dass eine auf den ersten Blick einfache Alltagsfrage so viele Teilaspekte aufweist und ein Einzelner diese nicht alle auf dem Schirm haben kann. Zu den einzelnen Kommentaren nun gebündelt Antworten unseres Autors:
@ALEXANDER HORCH: Vorausgesetzt, man recherchiert die entsprechenden Kenndaten, sollte es kein Problem sein, die Verlustleistung / Verlustenergie bei Einatmen von kalter Luft und bei Ausatmen von warmer auszurechnen: Die Wärmekapazität von Luft ist im Internet schnell recherchiert. Ich habe 1,2 kJ pro Kubiktmeter [https://www.energie-lexikon.info/waermekapazitaet.html] gefunden. Das entspricht in Liter (l) umgerechnet 1,2 J / (l K). Wenn wir als Lungenvolumen drei Liter ansetzen und 30 Atemzügen in der Minute, gehen im Mittel 1,5 l Luft pro Sekunde durch unsere Lunge. Und die erwärmen wir von z.B. minus vier auf 36 Grad Celsius, also um 40 Grad Celsius. Damit bekommen wir die Verlustleistung: P = 1,2 J / (l K)* 1,5 l/s * 40 K = 72 J/s = 72 W. Das finde ich mit Blick auf das gesamte Energiebudget bei Radfahren nicht unerheblich.
@HANNES ALLABAUER: Die Luft erwärmt sich beim Einatmen. Entscheidend ist die Lufttemperatur in der Lunge beim Übergang ins Blut.
@JÜRGEN RUDOLPH: Guter Punkt. Umgangssprachlich formuliert lautet er Einwand: Die Luft mag zwar dichter sein, doch dafür „flutscht“ man besser durch. Ich kann nicht abschließend sagen, welcher Effekt überwiegt und konnte auch noch niemanden fragen, der sich mit Aerodynamik richtig auskennt. Folgende Punkte ermutigen mich, meine These noch nicht zu verwerfen:
• Wir sind beim Radfahren definitiv im Bereich der turbulenten Strömung. Die einfachen Formeln zur Viskosität setzen laminare Strömung voraus.
• Auch Fahrerinnen und Fahrer von Autos mit Verbrennungsmotoren beobachten einen höheren Benzinverbrauch im Winter, auch auf Langstrecken. Wenn der Motor auf Betriebstemperatur ist, wird die Abwärme des Motors zum Erwärmen der Fahrgastzelle genutzt und bedarf keiner zusätzlichen Energiequelle. Was ruft den höheren Verbrauch hervor, wenn nicht die höhere Luftreibung?
@HELGE WEILER-SCHLECKER: Stimmt, jenseits einer Umgebungstemperatur von über 30 Grad Celsius nimmt der Genussanteil beim Radfahren auch wieder rasant ab, aber aus anderen Gründen.
Freundliche Grüße vom VDI-Team
Zu Alexander Hoch: Hm, ich kann's nicht berechnen, aber ganz abwegig ist die rein qualitative These wohl nicht, nach der es ziemlich egal ist, ob die im Körper produzierte Verlustwärme (die abgegebene Wirkleistung liegt auf dem Weg zur Arbeit bei 150 ... 200 Watt) durch Schwitzen oder durch die CO2-haltige Atemluft abgeführt wird, alles unter der Voraussetzung, dass die Muskeln auch im Winter gut aufgewärmt sind und mit gleichem Wirkungsgrad arbeiten wie bei 20 Grad.
Persönlich empfinde ich das Radfahren zur Zeit eher angenehmer als im Hochsommer, wenn man von Dunkelheit und den häufigeren Regenschauern absieht. Meine Strecke zur Arbeit bietet praktisch keinen Schatten und hat mehrere Anstiege, das ist in der prallen Sonne unangenehm. Zudem: Richtige Kleidung ist natürlich das A und O, zu warm ist nicht sinnvoll.
Die Viskosität der Luft ist bei niedrigen Temperaturen kleiner als bei hohen Temperaturen.
Wissenschaftlich spannend und hier noch bar der vielen anderen Einflussfaktoren. Zum Beispiel die Frage nach der CO2-Bilanz: Radelt man nur aus Freude am Radeln oder ersetzt man (Diesel-)Auto-Kilometer? Klarer Unterschied. Aber wie sieht es aus, wenn man aus Freude radelt, statt in einem geheizten Fitness-Studio zu schwitzen, dort anschließend mit Erdgas-beheiztem Warmwasser zu duschen, womöglich schon das zweite mal an diesem Tag? Tja, es gibt viele Rätsel auf dieser Welt. Warum RWE trotzdem die Kohle unter Lützerat abbaggern will, gehört auch zu diesen Rätseln. Und daraus direkt die Anschlussfrage, wer denn jetzt der Klimakriminelle ist. "Geld oder Leben" hieß früher die Räuberfrage, heißt sie heute auch noch.
Kann man den Beitrag der Erwärmung kalter Luft beim Atmen grob quantifizieren? Gefühlt ist das kein großer Beitrag (gegen den diskutierten Luftwiderstandeffekt). Und das mit den Helden unterschreibe ich ...
Vergessen: Mehr Luftmasse in der Lunge, also mehr Sauerstoff im Blut und damit mehr Kraft. Was ergibt dann die Bilanz?
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