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Bild: Frank Magdans
Konsumwahn Logistik

HamsterkäufeUnd plötzlich ist das Regal leer ...

In Krisenzeiten sind Hamsterkäufe nicht selten. Doch Hand aufs Herz: Müssen wir hierzulande wirklich vorsorgen und unsere Mitmenschen vergessen?

Rational ist das nicht, was derzeit geschieht: kein Speiseöl mehr in den Regalen. Das erinnert sofort an den Beginn der Corona-Pandemie, als ohne Grund Toilettenpapier knapp wurde. Die Leute hatten Angst vor Verknappung, kauften plötzlich horrende Mengen ein. Folglich leerten sich die Regale, da die Supply-Chain diese plötzliche Bedarfssteigerung nicht bedienen konnte. Und die Hamsterkäufer – und nicht nur die – fühlten sich bestätigt.

Das Ganze ist eine selbsterfüllende Prophezeiung. Denn der Handel reagierte 2020 mit Rationierung, und viele Leute haben vermutlich danach lange Zeit von ihren Vorräten gelebt. Die Situation beruhigte sich eine Weile später wieder; plötzlich hatten wir eher zu viel Klopapier. Aber gelernt hat man in Deutschland nicht wirklich daraus. Jetzt befürchten die Menschen, dass Speiseöle (hergestellt aus Sonnenblumenkernen) und Mehl knapp werden könnte, weil der Krieg in der Ukraine dafür sorgt, dass die Felder nicht bestellt werden und es dort vermutlich zu Ernteausfällen kommen wird. Aber betrifft das Deutschland so sehr, dass wir vorsorgen müssen?

Was sagen die Zahlen?

Rein statistisch hat die Ukraine in der Vergangenheit nur rund vier bis fünf Prozent ihre Wirtschaftsleistung nach Deutschland exportiert. Im Kontext mit Weizen ist Russland mit Abstand der größte Weizenexporteur, Ukraine folgt auf Platz fünf. Dazwischen liegen, in absteigender Reihenfolge, die USA, Kanada und Frankreich. Russland deckt rund 20 Prozent der weltweiten Bedarfe, die Ukraine rund achteinhalb Prozent, und aus der EU kommen rund 15 Prozent.

Wir müssen also davon ausgehen, dass die Lebensmittelpreise international steigen werden, aber die Versorgung in Deutschland, insbesondere mit Grundnahrungsmitteln, ist sicher. Denn der überwiegende Teil des weltweit produzierten Weizens wird auch dort konsumiert, wo er angebaut wird. Die größten Mengen der Weizenexporte aus der Ukraine gehen in den arabischen Raum und nach Indonesien.

Es trifft eher die ärmeren Länder

Das Problem wird erst im Spätsommer akut werden, wenn Getreideexporte aus Russland und der Ukraine ausfallen sollten. Eine Versorgungskrise auf den internationalen Getreidemärkten ist vorgezeichnet. Da Deutschland aber auch Exporteur ist, so wie die EU, wird es hier keine Probleme geben. Die Preise für Backwaren werden vermutlich nicht in die Höhe schnellen. Es wird vielmehr die ärmeren Länder treffen, die viel Getreide importieren, dort muss diese Versorgungskrise ausgebadet werden.

Der weltweite Markt für Sonnenblumenöl wird zu 80 Prozent aus Russland und der Ukraine versorgt. Mit rund 50 Prozent Anteil gilt die Ukraine als weltgrößter Exporteur von Sonnenblumenöl. Deutschland ist auf diese Importe angewiesen, deckt 94 Prozent des Bedarfs aus dem Ausland ab. Lediglich sechs Prozent stammen von Pflanzen aus heimischer Landwirtschaft. Alle zwei bis drei Wochen fuhr vor dem Krieg ein Schiff aus der Ukraine mit 20.000 bis 30.000 Tonnen Rohöl im Hafen von Rotterdam ein. Mit Binnenschiffen ging die Ware dann weiter an Ölmühlen und Raffinerien in Europa. Diese Lieferkette ist aktuell abgerissen.

Störungen in den Lieferketten

Was dabei erschwerend hinzu kommt: Die Lage bei der Versorgung mit Speiseölen war auch schon vor Ausbruch des Krieges schwierig. Vor allem im unteren Preissegment gab es zuletzt vereinzelt Lücken in den Regalen angesichts einer Verkettung vieler Faktoren wie Corona-Ausfälle, Logistik-Probleme, schlechte Ernten und hohe Herstellungskosten. Inzwischen wird die Abgabe von Raps- und Sonnenblumenöl in den Supermärkten für die Kunden wieder begrenzt. Und auch der Preis ist im Handelsmarkenbereich ist stark gestiegen – von teils unter einem Euro pro Flasche auf mittlerweile 1,79 Euro und mehr. Dazu kommen jetzt noch die Preissteigerungen von Diesel und die fehlenden Transportkapazitäten, die zusätzliche Störungen in den Lieferketten erzeugen.

Der Getreide- und Ölhandel über das Schwarze Meer findet faktisch nicht mehr statt, was zu historisch hohen Preisen führt. In der Konsequenz steigen nach den Weizenpreisen auch die Tierfutterpreise, denn wichtige Eiweißfuttermittel aus Sonnenblumen oder Raps kommen auch aus der Ukraine. Dies hat Folgen für Rinder-, Schweine- und Geflügel-Bauern.

Lieferketten sind nicht direkt betroffen

Mit einer Verknappung der Alternativen wie Olivenöl ist aktuell eher nicht zu rechnen, zumindest nicht in direkter Konsequenz aus dem Krieg in der Ukraine. Auch Rapsöl als beliebte Alternative zum Sonnenblumenöl, wird weiterhin produziert – auch hierzulande. Beim Rapsöl ist der ukrainische Anteil am Weltmarkt laut einer US-Studie nicht annähernd so bedeutend (nur drei Prozent, Russland liefert 13 Prozent). Darauf ist Deutschland weniger angewiesen, da für die Öl-Produktion hierzulande zunächst viel Raps aus eigenem Anbau und den anliegenden EU-Staaten verarbeitet wird.

Die Lieferketten anderer wichtiger Speiseöle (wie beispielsweise Olivenöl) sind durch den Krieg in der Ukraine erstmal nicht direkt betroffen. Die Preise auch bei diesen Speiseölen könnten allerdings im Zuge der ausbleibenden Mengen steigen, denn wenn das Sonnenblumenöl zum Teil wegfällt, werden die Alternativen stärker nachgefragt und damit können sie teurer werden. Um die grundsätzliche Verfügbarkeit von Speiseölen in Deutschland machen sich die Experten auf absehbare Zeit keine Sorgen, die Vielfalt des Angebots und die Preise könnten aber eine Weile variieren.

Hamsterkäufe sind überflüssig

Wir werden uns also in Deutschland auf Engpässe und Preiserhöhungen einstellen müssen, in vielen Bereichen und mit wechselnden Auswirkungen. Was sicherlich nicht hilft ist das Hamstern von Lebensmitteln und Dingen, die wir tagtäglich benötigen. Trotzdem werden die Apelle, solidarisch zu agieren und nur in haushaltsüblichen Mengen zu kaufen, vermutlich wieder fast ungehört verhallen und die Begrenzung von Abgabemengen im Supermarkt nicht zu verhindern sein. Da helfen auch stabilisierte Supply-Chains und geänderte Lieferweg nur mit großer Zeitverzögerung.

Unser Autor

Dipl.-Ing. Jean Haeffs. Geschäftsführer der VDI-Gesellschaft Produktion und Logistik

Kommentare

Inzwischen haben 5 Leser einen Kommentar hinterlassen.
Gerhard Ahrens | 29.03.2022

Augenscheinlich ist es unserem Bericht-Autor mangels Sichtung der richtigen TV-Kanäle ganz entgangen, dass tausende Menschen in D mit ukrainischen Wurzeln für Ihre Landsleute in Not zu eigenen Kostenlasten die Grund-Produkte in unseren Supermärkten: ALDI, Lidl, Plus, Netto u.v.a.m im unteren Preissegment einkaufen und an Institutionen zum Versand in die Ukraine abliefern. Das sind u.a.: Mehl,Mehr lesen

Volker Kiemes | 29.03.2022

Das Wort 'Hamsterkäufe' beschreibt einen Zustand urplötzlichen Handelns um nur wenige Wochen später die Gedanken an eine geplante Vorsorge wieder zu vergessen. Der Ratgeber für Katastrophensituationen des BKK hat uns schon im Frühjahr 2020 entspannt auf leere Regale blicken lassen, im Lockdown eine Sorge weniger beschert und ist wieder zu einer wertvollen Hilfe geworden. Im Haus sind wirMehr lesen

Frank Nieschwietz | 29.03.2022

Ein gute grafische Darstellung der Getreideexporte/-importe von DE wäre mal ganz nett.

Thomas Wollstein | 29.03.2022

Danke für diese Zusammenstellung von nützlichen Fakten!

Dr. Thomas Sowa | 23.03.2022

Rational gesehen, sind Hamsterkäufer natürlich überflüssig. Aber es gibt aufgrund der bereits gemachten Erfahrungen, z.B. mit dem Klopapiermangel in der letzten Zeit, gemischte Gefühle. Gemischt bedeutet hier, einerseits möchte ich, dass es allen gut geht, und andererseits wünsche ich mir, dass es mir gut geht. Manchmal sind diese Motive miteinander vereinbar, manchmal leider nicht.
Obwohl esMehr lesen

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