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BETRACHTET
Bild: Frank Magdans
Technik Umweltbewusstsein

Besuch am Institut für Textiltechnik der RWTH AachenAm seidenen Faden

Zum Termin am Institut für Textiltechnik der Aachener RWTH komme ich mit dem Fahrrad. Ich stelle es unter einem überdachten Stellplatz für Zweiräder ab. Mit der Konstruktion beschäftige ich mich nicht weiter. Doch später, wenn ich wieder nachhause rolle, weiß ich viel mehr darüber …

Nun, weshalb zum Institut für Textiltechnik an der RWTH Aachen? Weil ich mich mit zwei promovierten Wissenschaftlern treffe, die mir unter anderem erzählen und zeigen, welche Ansätze es gibt, die den Klimakiller CO2 als Rohstoff für die Bekleidungsindustrie nutzen. Denn bei der Herstellung von Textilien fallen circa acht bis zehn Prozent der globalen CO2-Emissionen an. Damit nicht genug. Meine Recherche hat ergeben, dass wir Menschen jährlich über 90 Millionen Tonnen an Textilien wegwerfen. Hiervon landet der größte Batzen auf der Deponie oder in einer Verbrennungsanlage.

Meine Gesprächspartner erscheinen nicht im Anzug, auch wenn beide einen Doktortitel tragen: Dr.-Ing. Thomas Köhler trägt einen vierfarbigen Lacoste-Pullover mit weißem Hemd und eine bequeme Hose, Dr.-Ing. Sascha Schriever kommt im lilafarbenen Wollpulli und Jeans – ist ja kein Wunder, denn am Institut wurde unter anderem ein Shirt aus Biopolymeren und gemeinsam mit den Firmen Covestro und Falke die sogenannte CO2-Socke entwickelt.  

Kaum dokumentiert: Büroteppiche ...

Bei all den Überlegungen, wie sich Textilien recyceln lassen, stellt sich doch vielmehr die Frage, wie man Hemd, Hose, Shirt und Co. von Anfang an so erzeugt, dass sich das Kleidungsstück am Ende wieder seinem natürlichen Ursprung zuführen lässt. Tatsächlich stellt das Recycling von Textilien eine sehr große Herausforderung dar: „Textilien sind gefärbt, und je nach Funktion mit verschiedenen Materialien beschichtet. Das bedeutet, dass man die ganze Sache zunächst erst einmal wieder trennen und aufreinigen muss, um dann schauen zu können, wie sich die vorhandene Substanz weiterverarbeiten lässt“, sagt Schriever.

Würde es hier am Institut für Textiltechnik lediglich um Kleidungsstücke gehen, wäre das Anwesen wahrscheinlich nicht ganz so groß. Da sich die Forscher jedoch auf einer Fläche von sage und schreibe 3.000 Quadratmeter ihrer Arbeit widmen können, kommen ganz andere Dimensionen ins Spiel: „Normaler Büroteppich, wie in diesem Raum, wird in Massen produziert und eingesetzt. Jedoch gibt es kaum Statistiken dazu, wo welcher Teppich liegt und woraus er besteht – auch ein Riesenproblem. Da sind viele Fragen offen. Vor allem ist unklar, was man überhaupt daraus noch machen kann. Selbst ein simpler Teppich, der augenscheinlich nur aus zwei Farben besteht, hat noch ein Backing, besteht aus vielen verschiedenen Materialien, die sauber getrennt werden müssen“, erzählt Köhler. Mit solchen Materialmischungen zurechtzukommen, sei eine immens große Herausforderung, zumal sich in Teppichen im Laufe der Zeit noch etliche Fremdstoffe ansammeln – nicht ohne Grund sind Büroteppiche häufig dunkelgrau.

Bloß nicht zu viel Energie verschwenden!

Zu Beginn der Kette, also schon während des Designprozesses, sollten die Produzenten darauf Rücksicht nehmen, was sich überhaupt im Nachhinein kombinieren lässt, damit es am Ende wieder einem Recyclingprozess zugeführt werden kann. Hierzu existieren viele Technologien; es bedarf jedoch dem Austausch und dem Aufbau solcher Systeme. In der Fachwelt bedeutet das, es muss automatisierte Sortieranlagen und Plattformen zum Datenaustausch geben. Gerade eine Datenbank, die exakt Aufschluss darüber gibt, welches Material sich wie recyceln lässt, ist sehr hilfreich.

Recycling ist wichtig für mehr Nachhaltigkeit, die biologische Abbaubarkeit nicht immer. „Mein liebstes Beispiel ist immer der Airbag. Der muss über einen sehr langen Zeitraum funktionieren, auch wenn ich nach zehn Jahren einen Unfall baue. Da kann ich diese Abbaubarkeit überhaupt nicht gebrauchen. So stehen wir vor einem klassischen Zielkonflikt, was die Eigenschaften von Textilien angeht. Wir müssen uns damit beschäftigen, welche Textilien mit welchem Ansatz möglichst langlebig gemacht werden, sodass sie beziehungsweise das Material überhaupt einen Wert haben, wieder recycelt zu werden“, gibt Köhler zu verstehen.

Was man vor allem beim Recyclingprozess beachten müsse, sei die Skalierbarkeit, so Schriever: „Es bringt niemandem etwas, wenn ich zum Trennen der Rohstoffe viel Energie benötige, die möglicherweise mit Kohlekraftwerken erzeugt wird. So kann mancher Recycling-Prozess ökologisch gesehen unsinnig werden. Wenn mein recyceltes Produkt am Ende dann noch einen oder mehrere Euro teurer ist, dann bringt mir der ganze Spaß auch nichts. Denn dann kauft es vielleicht niemand. Genau da setzen wir an. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie arbeiten wir beispielsweise im Innovationsraum Biotexfuture an neuen Technologien, um unter ökologischen, ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten innovative Alternativen anbieten zu können“.

Dachkonstruktion aus Textilbeton

Nach drei Stunden ist mein Termin vorüber, also begebe ich mich auf den Rückweg. Meine Gesprächspartner begleiten mich zum Eingang. Als wir an dem überdachten Fahrradabstellplatz stehen bleiben, von dem ich eingangs gesprochen habe, erzählt mir Schriever, dass die Dachkonstruktion aus Textilbeton besteht. Wie bitte? Ja, ich habe richtig gehört. Statt Stahl werden Textilien als Armierung verwendet. Und das Besondere daran: Textilbeton ist so stabil und wetterbeständig wie Stahlbeton, jedoch bei gleicher Leistung viel leichter, da weniger Beton benötigt wird – ausgesprochen nachhaltig, denn Beton ist ja bekanntermaßen eine CO2-Schleuder und Sand knapp.

Der Besuch hat mich beeindruckt. Ich habe schließlich etliche Möglichkeiten und Ansätze gesehen. Auf dem Rückweg stelle ich mir allerdings die Frage, weshalb sich die Menschheit erst jetzt über die Zukunft unseres Planeten Gedanken macht. Konkret heißt das: Ist es nicht wirklich schon viel zu spät? Ja, denke ich. Denn allein schon bei dem Gedanken, was eines Tages mit all den Büroteppichen geschieht, wird mir ziemlich übel. Oder sollte ich es einfach positiv sehen und denken, „Besser spät als nie“?

In eigener Sache

Wir, der VDI, unterstützen die Entwicklung einer nachhaltigen Bioökonomie durch eine ganze Reihe von Aktivitäten. Hierzu zeigt unsere Publikation mit dem Titel „Bioökonomie – Gemeinsam für eine nachhaltige Wirtschaft“ unterschiedliche Handlungsfelder im Kontext auf. Darüber hinaus setzen wir uns im Rahmen des chemPLANT-Wettbewerbs und mit dem Bionic Award für ressourcenschonende und nachhaltige Lösungen ein.

Unser Autor

Frank Magdans, Referent Kommunikation

Kommentare

Inzwischen hat 1 Leser einen Kommentar hinterlassen.
Rolf Westphal | 27.11.2021

Wir reden seit Jahren über Nachhaltigkeit und textiles Recycling und haben bis heute keine konkreten Zahlen über das vorhandene Volumenaufkommen! Weder EU weit, geschweige denn global. A-B-C Recyclingaufkommen- und geogr. Verteilung, Ökologische+Ökonomische Logistik Erfassung und Sammlung, Sortier- und Trenntechnik, Zielanwendung, Absatzmarkt-und Wert. Aufbereitung, mech./phys./chem.Trennung, Reinigung+Aufbereitung, weiterf. Nutzung. Anwendung

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