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Ich durfte eine amerikanisch-deutsche Gruppe aus Studierenden zwei Wochen lang in und um New York City und Detroit begleiten. Bei Auslandsreisen reizen mich besonders Menschen und Kultur. Neben der interkulturellen Erfahrung hat mich aber vielmehr die Frage interessiert: Wie wird in den USA mit dem Thema Nachhaltigkeit umgegangen? Welche Rolle spielen Kultur und Mentalität dabei? Was sind die Unterschiede zu Europa?
Gotham City zeigt die Herausforderungen
Bereits am ersten Tag in New York merke ich: Die Herausforderungen sind gewaltig. Riesige Autos, Klimaanlagen im Dauerbetrieb, Einwegverpackungen allerorten. Mein Eindruck ist, dass die uns so vertrauten Ansätze und Verhaltensmuster wie Licht aus, Motor aus, Müll trennen und Mehrweggeschirr hier praktisch nicht existent sind. Hm, lässt sich dieses Mindset überhaupt überwinden?
Klar wird mir schon in den ersten Gesprächen, dass die Mentalität bezüglich Nachhaltigkeit hier völlig anders ist als in Europa. Bei Gesprächen über „carrots and sticks“ wird deutlich: bei allen Ansätzen und technischen Lösungen stehen „Business Cases“ stets im Fokus. Wie kann ich die Lösung verkaufen? Regulierung ist nicht das erste Mittel der Wahl. Menschen und Unternehmen sollen durch Bezahlbarkeit und „Return on Invest“ motiviert werden.
Das ist nicht selten eine große Herausforderung. Michael Reed von der NYSERDA erklärt uns beispielsweise, dass die meisten Gebäude in New York City mit Dampf geheizt werden. Modernisierung im Bestand bei Wolkenkratzern, die oft vor 1945 bebaut wurden, ist sehr teuer und damit für die Eigentümergesellschaften, denen es um Rendite geht, nicht erstrebenswert.
The Big Apple zeigt Chancen auf
Bei allen Schattenseiten lernen wir auf der anderen Seite viele Initiativen und Ansätze kennen, die vor Kreativität und Zuversicht nur so strotzen! Keine Spur von der den Deutschen zugeschriebenen Zögerlichkeit, die man hier „German Angst“ nennt! So spricht Hendrik Hamann, der seit 19 Jahren in den USA lebt und bei IBM arbeitet, zuversichtlich über AI und Quantencomputer in der Klimaforschung, Materialentwicklung, Wettervorhersage, …
Bezüglich Infrastruktur erläutert uns Tom Abdallah von der MTA, die täglich 11 Mio. Menschen in und um New York transportiert, dass eine Modernisierung in einer Stadt, die niemals schläft, an einem System, das 24/7 läuft, sehr schwierig ist! Dennoch wird an Prozessen zur Bremskraftrückgewinnung in den U-Bahnen und Energiespeicherung entlang der Strecken gearbeitet. Die Bereitschaft, nachhaltiger zu werden, ist also durchaus vorhanden.
Von der Dachterrasse der ASME schaue ich auf die Häuserschluchten Manhattans. Andererseits flaniere ich durch die grünen Oasen der Highline! Ich lerne viele Initiativen kennen, die mir zeigen, dass es an vielen Stellen einen bemerkenswerten Willen gibt, den „American Way of Life“ durch innovative Ansätze nachhaltiger zu gestalten und neue Ideen zu integrieren.
Gerne höre ich in Gesprächen, dass gerade Technologie- und Wissenstransfer aus Europa gepaart mit hiesigen Geschäftsmodellen als große Chance gesehen wird. In der Tat legen viele Gesprächspartner trotz der Schwierigkeiten einen bemerkenswerten Optimismus an den Tag. Vielleicht sollten wir Deutschen uns davon bei allem Wissen um die Herausforderungen etwas abschneiden! Zumindest nachdenken sollte man darüber mal.
Nun, New York City ist nicht repräsentativ für die USA. Nach dem Transfer nach Michigan wird mir das schnell klar. Im stärker ländlich geprägten Raum, noch dazu im Umfeld der Autostadt Detroit, herrscht eine konservative Sichtweise auf Nachhaltigkeit vor.
Das andere Amerika – Detroit und Umgebung
Beim Besuch der Forschung & Entwicklung bei GM lerne ich, dass zirkuläre Wertschöpfung in den Produktionsprozessen selbstverständlich Einzug gehalten hat. Gleichzeitig muss eine traditionell denkende Kundschaft mit ihren Anforderungen weiterhin bedient werden. Deutlich erkennbar ist der Versuch des Spagats zwischen traditionellem Individualverkehr und
modernen Mobilitätslösungen.
Das Auto ist hier nicht nur das zentrale Mittel der Mobilität. Der SUV oder Pick-up steht für individuelle Freiheit und Wohlstand. Überhaupt fällt mir auf, dass in allen Gesprächen Geld, Wirtschaft und Freiwilligkeit stärker als in Europa im Fokus stehen. Der Staat ist hier viel weniger präsent und staatliche Eingriffe oder die Abhängigkeit vom Staat gelten als wenig erstrebenswert.
Strukturwandel als Chance für Nachhaltigkeit
Detroit ist wie keine andere Stadt der USA verbunden mit der Automobilindustrie. Als ich vor 12 Jahren zum letzten Mal hier war, befand sich die Stadt in einem Zustand des Verfalls. Ganze Viertel waren marode, die Stadt war bankrott, und manche Stadtviertel waren wegen der Kriminalität sogar kaum zu betreten.
Den Strukturwandel nach schwierigen Jahrzehnten kann ich heute deutlich erkennen. Die Michigan Central Station und die Umgebung sind wieder aufgebaut. Im Gespräch mit Rich Fahle vom Innovationszentrum NewLab erhalten wir einen Einblick in die Start-up-Szene. Moderne Technologien, um Nachhaltigkeit zu erreichen, stehen an diesem Ort im Zentrum.
Deutlich sichtbar ist für mich der Gegensatz zwischen Mentalität und Verhalten der Menschen im Alltag und den Ideen/Ansätzen in einem solchen Hub. Die Herausforderung, hier wie in Deutschland: der Transfer von angepassten Denk- und Verhaltensmustern in die breite Bevölkerung!
Kommunale Ansätze und individuelle Beiträge
Tatsächlich habe ich den Eindruck, dass in diesem Land ein Flickenteppich bezüglich Nachhaltigkeit herrscht. Freiwilligkeit und lokale Lösungen stehen im Vordergrund.
Im Gespräch mit dem Büro für Nachhaltigkeit & Innovation der Stadt Ann Arbor höre ich, welche Ansätze Kommunen bezüglich Dekarbonisierung verfolgen. Das geht so weit, dass sich einzelne „Communities“ selbst stärker besteuern, um Nachhaltigkeit zu finanzieren. In Europa wäre ein solcher Ausdruck individueller Freiheit so nicht denkbar!
Immer wieder kommen wir darauf zurück: Business Cases werde hier als Mittel, um Akzeptanz für nachhaltige technische Lösungen zu schaffen, von den Ingenieurinnen und Ingenieuren immer mitgedacht. In Deutschland für viele Fachleute eine große Herausforderung!
Der American Way of Life
Zum Ende der Reise besuche ich alte Freunde in einem Vorort von Detroit. Hier lebt der amerikanische obere Mittelstand den klassischen American Way of Life. Man fährt SUV oder Pick-up (meist zwei bis drei Wagen pro Familie), hat ein Boot für die Fahrt auf den großen Seen und lebt im klassischen freistehenden Eigenheim nach amerikanischer Bauweise.
Beim Besuch eines Spiels „meiner“ Baseball-Mannschaft, der Detroit Tigers, habe ich Gelegenheit, mich mit meinen Freunden und anderen „Normalos“ auszutauschen. Tenor: Nachhaltigkeit ja, aber nicht auf Kosten unserer Lebensweise und des wirtschaftlichen Erfolges! Es gilt: Der Primat der Wirtschaft und Nachhaltigkeit wird als potenzielles Risiko, nicht unbedingt als Chance, gesehen.
Mein persönliches Fazit
Was mich in den USA immer wieder nachdenklich gestimmt hat, ist die Tatsache, dass kleine, ressourcensparende Verhaltensänderungen, in den Köpfen vieler Menschen offenbar nicht vorkommen: Motor aus, Licht aus, Klimaanlage aus.
Mindset und Mentalität sind ein dickes Brett. Gute Ansätze in die Fläche zu führen, gestaltet sich als schwierig. Wirtschaftliche Faktoren sind dabei hier in den USA für eine erfolgreiche Argumentation zentral. Dabei steht die individuelle Wahlfreiheit für viele Menschen im Fokus.
Mehrmals habe ich in Gesprächen gehört, dass die USA 20 bis 30 Jahre hinter Europa seien! Können wir uns dafür auf die Schulter klopfen? Unser Weg ist ebenfalls noch lang. Was bedeutet es global, wenn in den großen Industriestaaten die Veränderung der Denk- und Verhaltensweisen so langsam voranschreitet?
Auf dieser Reise bin ich großartigen Menschen begegnet und habe einzigartige Momente erlebt. Bei allen Herausforderungen und Schwierigkeiten, die vor uns liegen: Deutschland und USA können bei allen Unterschieden in Herangehensweisen und Mentalität viel voneinander lernen.
Wenn wir bereit sind, unsere nationale Brille abzunehmen, die eigene Komfortzone zu verlassen und Ansätze, die einfach anders – nicht besser und nicht schlechter – sind, als Chance wahrzunehmen, können wir gemeinsame Ziele zusammen erreichen! Let's do it!
Kommentare
Inzwischen haben 4 Leser einen Kommentar hinterlassen.Herzlichen Dank für die interessanten Eindrücke! Ihre Schilderungen entsprechen meinen Erwartungen, die auf sehr umfassenden USA Erfahrungen in den Jahren 1991 bis 2005 basieren. Seither habe ich es leider auch nicht mehr in die USA geschafft, aber die Entwicklungen des "Traumlands" meiner Jugend intensiv in den Medien verfolgt. Was in diesem Forum allerdings nichts unerwähnt bleiben sollte ist die Tatsache, dass in den USA teilweise weitaus strenge Umweltgesetze als in Europa vorhanden sind und es sich bei der EPA (wieder) um eine mächtige Aufsichtsbehörde handelt ("Diesel Gate", etc.). Ich habe außerdem den Verdacht, dass Umweltsünder in den USA viel heftiger an den öffentlichen Pranger gestellt werden als in anderen Regionen.
Ich habe es bei einer USA-Reise nach Milwaukee im April genauso erlebt. Energiesparen ist in den USA noch viel weiter weg als bei uns.
Leider viel wahres dran, wie man es auch im Sustainable Development Report of the United States 2021 (https://us-states.sdgindex.org/) bestätigt bekommt. Aber wir tun unser Bestes, um weiter voran zu kommen. Gruß aus Florida, Roland
Vielen Dank für Ihren Bericht und die Beschreibung des „Way of live“ . ich möchte anmerken, dass ich es sich bei uns genauso verhält. Ich bin Mitglied des Gemeinderates einer 5.000-Einwohner-Gemeinde. Werden im Haushaltsplan oder bei den Gemeindewerken Investitionen für die Zukunft festgelegt ist die erste Frage der Mehrheits-Fraktionen, wer soll das bezahlen, was bringt es der Gemeinde, andere Länder machen nichts, warum sollen wir nachhaltig investieren. „ Die Amerikaner“ sind ehrlich, bei uns wird nach außen schön geredet. M.E. wird sich etwas ändern, wenn die Klima-Katastrophe nicht mehr mit Schuldenmachen vertuscht werden kann.
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